Wenn die Eltern peinlich werden
Genervtes Stöhnen, verdrehte Augen, ein vorwurfsvoller Blick und dann der Klagesatz: "Boah Mama, was soll DAS denn? Du bist echt sowas von peinlich!!!" Wie bitte, was? Peinlich? Wieso das denn? Wenn pubertierende Kinder sich plötzlich für die Eltern schämen, wissen die oft gar nicht, was eigentlich los ist. Nehmen Sie es nicht persönlich! Das Schämen für die eigenen Eltern gehört in der Pubertät - in Maßen - zum Erwachsenwerden dazu.
- Pubertierende vermeintliche Abneigung
- Plötzlich Peinlich
- Unberechenbare Veränderungen
- Wenn Eltern peinlich werden: Die Hintergründe verstehen
- Jugendliche wollen selbstständig werden
- Was Sie als Eltern in der Pubertät tun können wenn Sie Ihrem Kind peinlich sind…
- Wann Eltern Grenzen setzen müssen
- Bleiben Sie Vorbild!
- Eltern profitieren auch von der Revolte der Teenager
Pubertierende vermeintliche Abneigung
Vieles von dem, was über Jahre völlig normal war, ist in der Pubertät plötzlich nicht mehr in Ordnung, peinlich, doof oder daneben. Eltern erleben plötzlich, wie sie vor Wänden stehen, die die Jugendlichen in der Pubertät einfach vor ihre Nasen bauen und dann heißt es: "Stopp, bis hierhin und nicht weiter. Das möchte ich nicht!"
Plötzlich Peinlich
Der 13jährige Bjarne hat Besuch von seinen Freunden. Sie wollen rausgehen und spielen. Im Hausflur ziehen alle Schuhe und Jacken an. Bjarnes Mutter Marie H. hat für die Jungs ein paar Süßigkeiten und Getränke eingepackt: "Hier, damit ihr keinen Hunger leiden müsst!" sagt sie freundlich. Bjarne wirft ihr einen bösen Blick zu und grummelt: "Mann, wir sind doch keine Babys mehr. Wir wollten uns beim Supermarkt was holen." Marie geht lächelnd auf ihn zu und sagt: "Ach, das Geld könnt ihr euch doch sparen, ich weiß ja, was ihr mögt." Dabei hebt sie die Hände, um Bjarne die Regenjacke zuzumachen. Der wehrt behände ab, verdreht wütend die Augen und schaut seine Mutter vorwurfsvoll an: „Ey, lass das Mama!" Genervt zieht er seine Freunde am Ärmel: "Kommt Jungs, lasst uns abhauen." Die Tür fällt ins Schloss, der Beutel mit den Süßigkeiten bleibt im Hausflur liegen. Marie versteht die Welt nicht mehr: "Ich habe es doch nur gut gemeint? Was ist denn jetzt bloß falsch gelaufen?"
Beim Abendbrot fragt Marie nach: "Sag mal Bjarne, was war denn heute Nachmittag los im Flur? Ich wollte doch nur nett sein." Bjarne fährt sofort wieder hoch: "Ja, genau! Das willst du immer! Dabei vergisst du allerdings, dass ich nicht mehr fünf bin! Ich kann mir alleine die Jacke zumachen." Er knallt seine Gabel auf den Tisch: "Wie stehe ich denn vor meinen Freunden da, wenn Mami mir die Jacke zumacht und mir Süßigkeitenbeutel packt? Die lachen doch über mich! Das ist sowas von peinlich!!!"
Marie muss schlucken. So hat sie das noch gar nicht gesehen. Kurz hat sie das Gefühl, verletzt zu sein. Dann atmet sie tief durch und sagt: "Alles klar, ich verstehe dich und möchte mich entschuldigen. Ich muss wohl noch lernen, dass ich schon so einen großen Sohn habe."
Unberechenbare Veränderungen
Erinnern Sie sich selbst mal an früher an Ihre eigene Pubertät und Ihre Eltern. Gab es da vielleicht auch Dinge, die Sie peinlich fanden? Denken wir an die selbst gebackenen Kekse, die morgens in der Schulbrotdose lagen und natürlich völlig uncool sind. Oder wie peinlich ist es, wenn Papas große Unterhosen auf der Wäscheleine im Garten hängen, wo sie nicht nur alle Nachbarn, sondern eben auch die Freunde sehen können, die zu Besuch kommen. Peinlich sind dann plötzlich auch die Hausschuhe vom Vater (die ja sowas von altbacken sind), der alte Golf der Mutter (mit dem sie am besten beim Abholen an der 500m abgelegenen Kreuzung hält) oder der alte Fernseher, der noch wie im Mittelalter eine Röhre hat.
Nicht alle Eltern müssen aus dem Kelch der Peinlichkeiten trinken, aber viele. Wer betroffen ist, hat oft kaum eine Chance alles richtig zu machen. Eben noch schien alles gut und jetzt soll man am besten zehn Meter Abstand zum pubertierenden Nachwuchs halten oder sich mal ganz spontan in Luft auflösen. „Geht’s noch?“ fragen viele Eltern sich nun und sind auch ein bisschen verletzt. Sind wir denn nicht mehr gut genug?
Wenn Eltern peinlich werden: Die Hintergründe verstehen
Schon jüngere Kinder kritisieren dann und wann mal ihre Eltern. Schon ein 6jähriger kann zum Beispiel bemerken, dass ihm der Rock der Mama zu kurz ist oder der Papa zu laut lacht. Kinder vergleichen sich mit anderen. Sich selbst und natürlich auch die Eltern. Was unterscheidet meine Eltern von den anderen? Was finde ich an anderen Eltern gut und an meinen nicht? Oder was zeichnet meine Eltern besonders aus?
Kinder haben oft ein starkes Bedürfnis, so zu sein, wie alle anderen. Aus der Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit und Akzeptanz passen sie sich an, orientieren sich am Normal-Modus ihres Umfelds. Leben zum Beispiel alle Eltern der Freunde eher konservativ im Reihenhaus mit Mittelklassewagen, können die eigenen „Hippie“-Eltern in der Villa Kunterbunt mit ausgebautem Camping-Bus für einen 10jährigen sehr belastend sein. Denn: Der Wunsch nach Zugehörigkeit und Zustimmung durch die Freunde ist in manchen Momenten einfach größer, als das Wissen, dass die Eltern auch auf ihre individuelle Weise ganz toll sind.
Jugendliche wollen selbstständig werden
In der Pubertät verändert sich die Wahrnehmung des Kindes. Stand es zuvor in einer engen Symbiose mit den Eltern, beginnt es sich jetzt Schritt für Schritt zu lösen. Eigene Wege ausprobieren – das gehört in der Pubertät zum Erwachsenwerden dazu und ist ein schwieriger Prozess, der selbst in harmonischen Familien für Anstrengungen sorgen kann. Das Karussell der Peinlichkeiten dreht sich jetzt unberechenbar. Und so tapsen viele Eltern von einem Fettnapf in den nächsten. Ohne Anklopfen ins Zimmer gehen, beim Internet surfen über die Schulter schauen, der neuen Freundin neugierige Fragen stellen – das alles kann den Kids plötzlich peinlich sein. Viele, und sind es auch noch so kleine Gesten, empfinden die Teenager nun leicht als übergriffig. Sie signalisieren den Eltern ständig, was sie wollen und was nicht. Natürlich nicht, ohne auch dabei gerne und häufig ihre Meinung zu ändern.
Auch das Leben der Eltern wird nun genau unter die Lupe genommen. Wenn die Mutter Kochshows guckt, der Vater Rasen mäht, der Besuch im Kegelclub oder der Wanderurlaub zu Ostern ansteht, kann das nun überraschend für Spott sorgen. Denn: Die Jugendlichen finden nicht mehr alles toll, was die Eltern machen, haben jetzt eine Meinung und hinterfragen vieles. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Kind Ihnen jetzt ganz unverblümt mitteilt, dass Ihr Töpferei-Hobby ja voll "Banane" ist.
Die gute Nachricht: Sie müssen die Ablehnung Ihrer pubertierenden Kinder nicht persönlich nehmen. Sie können sie als Herausforderung betrachten. Denn auch wenn vieles "peinlich" ist, Sie sind und bleiben die wichtigste Bezugsperson für Ihr Kind. Gerade das Infrage-Stellen Ihrer Person ist Beweis für die enge Bindung ihres Kindes. Dadurch, dass es sich an Ihnen reibt, kann es sich entwickeln. Wer sollte diesen Job sonst übernehmen, wenn nicht die Eltern?
Was Sie als Eltern in der Pubertät tun können wenn Sie Ihrem Kind peinlich sind…
Auch wenn es manchmal schwer fällt: Gelassenheit ist jetzt das oberste Gebot!
- Versuchen Sie zu verstehen, warum Ihrem Kind eine bestimmte Verhaltensweise peinlich ist!
- Fragen Sie nach, anstatt sich beleidigt zurückzuziehen.
Viele Wünsche Ihres Kindes sind bei genauer Betrachtung sicher gut nachzuvollziehen: Das Anklopfen an der Kinderzimmertür, der Verzicht auf Kakao und Kekse, wenn die Kumpels da sind oder die Bitte, beim Abholen auf dem Schulhof nicht einen dicken Knutscher auf den Mund zu drücken: Es ist normal, dass Jugendliche sich von diesen "Kindheits-Ritualen" verabschieden möchten.
Vergessen Sie nicht: Ihr Kind möchte erwachsen werden und dazu gehört auch ein Umfeld, dass diesen Weg begleitet und fördert. Alles, was bemuttert und verhätschelt ist jetzt gerade mal total out.
Stellen Sie Ihr Kind doch auch einfach mal unter Beweis: Er will ohne Regenjacke raus? Gut, viel Spaß! Dann lernt Ihr Sohn eben mit 13, dass man bei Regen nass wird. Kinder und Jugendliche müssen eigene Erfahrungen sammeln. Und dieses Recht fordern sie spätestens in der Pubertät ein.
Wann Eltern Grenzen setzen müssen
Wenn scheinbar alles, was Sie tun, für Ihr Kind peinlich ist, stimmt etwas nicht! In Maßen sind kleine Geschmacksdifferenzen in Ordnung. Eltern dürfen aber nicht zum Spielball pubertären Anspruchsdenkens werden. Wenn Ihr Kind sich weigert, mit Ihnen gemeinsam durch die Stadt zu bummeln und das auch klar mit den Worten zugibt: „Ihr seid mir einfach zu peinlich“, sollten Eltern das nicht einfach so hinnehmen.
- Setzen Sie sich mit Ihrem Kind an einen Tisch, teilen Sie Ihrem Kind ehrlich mit, dass Sie solche Aussagen verletzen.
- Erklären Sie, dass Sie nicht bereit sind, so ein ablehnendes Verhalten zu unterstützen. Im Zweifel fällt der gemeinsame Stadtbummel aus oder Sie gehen allein.
Bleiben Sie Vorbild!
Zum Erwachsen werden gehört Toleranz. Und zwar von beiden Seiten. Diese Regeln können helfen:
- Flippen Sie nicht aus, wenn Ihr Kind Ihr Verhalten als „peinlich“ bemängelt! Fragen Sie nach: „Was genau stört dich?“ Bedenken Sie die Kritik Ihres Kindes. Ist vielleicht sogar etwas Wahres dran?
- Zeigen Sie Humor! "Du magst meine neue Hose nicht? Du musst sie ja auch nicht anziehen! Ist doch super, dass wir alle eigene Klamotten haben."
- Nehmen Sie Ihr Kind beim Wort: "Du findest unser Auto zu klapprig und alt? Ich habe nichts dagegen, wenn du lieber Fahrrad fahren möchtest. Ist auch viel umweltfreundlicher!"
- Bleiben Sie gelassen! Zeigen Sie, dass Sie von dem, was Sie tun überzeugt sind: „Du findest mein Hobby spießig? Naja, ein bisschen ist es das ja auch. Mir macht es trotzdem viel Spaß!“
- Nehmen Sie Bedürfnisse Ihres Kindes ernst. Akzeptieren Sie, wenn Ihr Kind nicht mehr abgeknutscht werden möchte.
- Seien Sie auch gegenüber anderen Vorbild: Wenn Sie andere Menschen so akzeptieren und annehmen, wie sie sind, wird auch Ihr Kind davon lernen.
- Setzen Sie klare Konsequenzen, wenn Ihr Kind zu viel einfordert: „Ich soll dich nicht vor der Disko abholen? Gut. Dann kannst du aber leider auch nicht hingehen.“
Eltern profitieren auch von der Revolte der Teenager
Kaum zu glauben, aber die Revolte des Nachwuchses hat auch ihre guten Seiten. Während kleinere Kinder die Eltern noch überwiegend bedingungslos annehmen, schauen die größeren in der Pubertät auch gerne und oft hinter die Kulisse. Das tut manchmal weh, kann aber auch ein wichtiger Motor für die gemeinsame Beziehung sein. Denn: Erst durch den vorgehaltenen Spiegel können Eltern Dinge erkennen, die vielleicht wirklich mal überdacht werden sollten. Wenn die modebegeisterte Tochter die Mutter gerne mal neu stylen möchte, der Sohn sich vom Vater intensivere Gespräche wünscht, sollten Eltern offen sein und sich einfach mal darauf einlassen. Im Grunde können Sie nur gewinnen! Vielleicht schenken Ihnen Ihre Kinder wirklich neue Impulse und den ersten Schritt für eine positive Veränderung. Vielleicht verbringen Sie auch einfach nur eine tolle Zeit zusammen. Beides tut gut und zeigt Ihren Kindern: Mama und Papa sind in Wirklichkeit ziemlich cool!
Dies ist ein Gast-Beitrag von Bettina Levecke