Erziehung mit oder ohne Regeln? Welche Ihr Kind wirklich braucht

Natürlich möchten Sie Ihr Kind zu einem verantwortungsvollen und selbstbewussten Menschen erziehen. Um das zu erreichen, braucht es klare Regeln und Verlässlichkeit. Aber Sie wollen Ihr Kind auch nicht durch unnötige Regeln einengen und eine vielleicht auch etwas weniger strenge Erziehung anwenden, als die, die bei Ihnen selbst angewendet wurde. Wie also finden Sie das richtige Maß an Freiheit und Grenzen?  

Inhaltsverzeichnis

Mit Regeln die Erziehung Ihres Kindes positiv gestalten

Jahrhundertelang wurden Kinder nach strengen Regeln autoritär erzogen. Wichtig waren nur Disziplin und Unterordnung, doch die Entwicklung des Selbstbewusstseins wurde dem Gehorsam strenger Regeln geopfert. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde als Gegenbewegung die antiautoritäre Erziehung propagiert und praktiziert. Bei dieser Art der Erziehung,werden dem Kind kaum Regeln und Grenzen gesetzt, Mit wenig Erfolg – wie man heute weiß. In letzter Zeit werden immer mehr Stimmen laut, die wieder eine strengere Erziehung mit klaren Regeln und Grenzen fordern. Doch der autoritäre Erziehungsstil wird den Anforderungen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht. Gefragt sind heute starke Kinder, Kinder, die wissen, was gültig ist, deren Rückrat aber nicht gebrochen, sondern gestärkt wird.

Freiheiten geben aber auch mithilfe von Regeln Grenzen setzen

Unter Pädagogen und Psychologen gibt es seit Jahren nur einen empfehlenswerten Erziehungsstil, die so genannte autoritative Erziehung. Der Begriff „autoritativ“ kommt aus dem Lateinischen und kann mit respekteinflößend, verlässlich, entschieden, bestimmt oder maßgebend übersetzt werden. Damit sind auch schon die Eckpunkte dieser Form der Erziehung beschrieben. Eltern, die die autoritative Erziehung anwenden,

  • schenken ihrem Kind viel Aufmerksamkeit, Liebe und Zuwendung. Dazu gehört auch ein Gespür für den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes, etwa: Was kann ich meinem Kind zutrauen? Was würde es überfordern?
  • lieben ihr Kind um seiner selbst willen, nicht weil es sich gut benimmt und/oder folgsam ist. Sie unterscheiden bei Kritik ganz deutlich zwischen dem Kind und seinem Verhalten. Statt „Du bist heute aber böse“ (= Kritik an der Person des Kindes) benennen sie klar das unerwünschte Verhalten,
  • bieten eine klare soziale, räumliche und zeitliche Verlässlichkeit. Dazu gehören, z. B. ein regelmäßiger Tagesablauf und Familienrituale,
  • setzen wenige, aber klare Regeln und achten strikt darauf, dass ihr Kind diese Regeln einhält. Das setzen sie mit liebevoller Konsequenz durch,
  • verzichten auf jegliche Form seelischer und körperlicher Gewalt. Deshalb sind Methoden wie fertigmachen, niedermachen, unter Druck setzen oder beleidigen absolut tabu,
  • fördern das Selbstbewusstsein ihres Kindes und unterstützen ihr Kind, indem sie Vertrauen in seine Fähigkeiten und Begabungen haben.

Autoritative Eltern sind also entschieden und liebevoll, und setzen strenge Regeln. Sie schätzen und unterstützen ihr Kind, verlangen aber gleichzeitig ein hohes Maß an Kooperation, Einhaltung der Regeln und angemessene soziale Umgangsformen von ihm. Es ist diese Mischung aus Anspruch und Anteilnahme, die autoritativ erzogene Kinder lebenstüchtiger macht. Sie verfügen meist über größeres Selbstbewusstsein, sind seltener depressiv, ängstlich oder aggressiv, sind an Regeln und Grenzen gewöhnt, absolvieren die Schule meist ohne Probleme und konsumieren als Jugendliche weniger Drogen.

Lassen Sie Ihr Kind in der Erziehung spüren, dass Sie an es glauben

Wenn Sie Ihr Kind durch Ihre Erziehung spüren lassen, dass Sie ihm zutrauen, ohne Hilfe auf dem Klettergerüst herumzuturnen, sich selbst anzuziehen oder ohne Ihre Hilfe den Tisch zu decken, dann wird es diese Aufgaben tatsächlich besser bewältigen. Allerdings wirken sich negative Überzeugungen – im Sinne der sich „selbsterfüllenden Prophezeiung“ – auch genauso negativ auf Ihr Kind aus. Versuchen Sie daher, Ihrem Kind Regeln zu setzen, wie „Heul doch nicht!“ und ihm damit das „Etikett“ aufzukleben wie Tollpatsch oder Heulsuse. Das würde nur dazu führen, dass es sich erst recht ungeschickt vorkommt und besonders oft stolpert oder dass es, um Ihren Überzeugungen entgegenzukommen, noch häufiger weint.

Erziehung positiv gestalten mit der Sprache der Ermutigung!

Wählen Sie Formulierungen, die das Selbstvertrauen stärken. Beispiele dafür finden Sie – nach Altersgruppen geordnet – in der Tabelle unten. Loben Sie Ihr Kind, wenn es etwas gut gemacht hat – aber bitte nur, wenn Sie das Lob wirklich ernst meinen!

SituationsbeispielDas entmutigt Ihr Kind:So stärken Sie sein Selbstbewusstsein
Säugling
Ihr Baby liegt auf dem Bauch und

versucht konzentriert, eine Rassel

zu ergreifen, die gerade eben ein

kleines Stück zu weit weg liegt.
Sie geben ihm die Rassel und sagen: „Schau, da hast du sie!“ (Damit haben Sie ihm die Chance auf einen „spektakulären“ Erfolg

genommen.)
Sie bleiben dabei und sagen: „Ja, gleich hast du es geschafft, dir die Rassel selbst zu nehmen!“ Eventuell können Sie die Rassel ein klein wenig näher schieben,wenn sie wirklich zu weit weg liegt.
Sie füttern Ihr Baby mit Brei, es

will aber partout selber den Löffel

haben und selber essen.
Sie entwinden ihm mit einem strengen „Nein, nein, nein! Dann landet ja alles auf dem Fußboden!“ den Löffel. (Wahrscheinlich wird es dann gar nicht mehr essen wollen.)Sie lassen ihm den Löffel und füttern mit einem

zweiten immer einen Löffel zwischendurch – so

wird Ihr Kind auch satt.Unter das Stühlchen

kommt eine abwischbare Unterlage.
Kleinkind im 2. und 3. Lebensjahr
Ihr Kleinkind hat soeben versucht,

einen Stuhl zu erklettern, ist dabei

gestürzt (ohne sichtbare Verletzung) und will weinend getröstet werden.
Sie nehmen es auf den Schoß, trösten es ausgiebig und sagen: „Lass das lieber, sonst fällst du noch mal runter!“ (Dadurch traut sich Ihr Kind mit der Zeit immer weniger zu.)Sie trösten es kurz und sagen: „Ja, das hat ein

bisschen weh getan.Versuch es gleich noch mal!“

Halten Sie eventuell den Stuhl fest, damit er beim Klettern nicht umkippt.
Ihr Kind kommt freudestrahlend zu Ihnen, um zu vermelden, dass es jetzt in dieWindel gemacht hat.Sie sagen: „Toll! Aber hättest du das nicht

vorher sagen können – jetzt ist es zu spät, ist eh alles in der Hose!“ (Ihr Kind wird Ihnen vermutlich die nächsten paar Male keine Meldung mehr abgeben.)
Sie loben: „Prima, du hast schon gemerkt, dass

etwas gekommen ist! Lass uns schnell wickeln

gehen.
Kind ab 4 Jahre
Ihr Kind hat ein Bild gemalt und

kommt damit stolz zu Ihnen,um

es Ihnen zu zeigen. Sie können

aber nicht erkennen,was es darstellt.
Sie betrachten das Bild von allen Seiten und fragen:„Was soll das denn sein?“ – „Ach, ein Auto! Ich zeig dir mal,wie man ein richtiges Auto malt!“ (Und schon fühlt sich das Kind völlig unzulänglich.)Sie sehen sich das Bild interessiert an und sagen:

„Schön, dass dir das Malen so viel Spaß macht.

Hast du Lust, mir das Bild genauer zu
Sie wollen weggehen, und Ihr Kind

hat immer noch keine Schuhe und

keinen Mantel an, obwohl es sich

schon selbst anziehen kann.
Sie meckern:„Nun trödel doch nicht immer

so! Damit’s schneller geht, zieh ich dich am

besten gleich selbst an!“ (Und wieder hat Ihr

Kind erfahren, dass Mama sowieso alles viel

besser und schneller kann.)
Sie bleiben gelassen und sagen: „Ich warte

draußen auf dich! Hier drin ist es mir im Mantel

einfach zu warm.“ Dann verlassen Sie ruhig die

Wohnung und vertrauen darauf, dass Ihr Kind

sich anzieht und gleich nachkommt.

In der Erziehung: Gönnen Sie Ihrem Kind Erfolgserlebnisse!

Natürlich kostet es Zeit und Nerven, wenn Ihr Dreijähriger seine Jacke partout selbst zuknöpfen möchte, es wieder und wieder mit den widerspenstigen Knöpfen aufnimmt – und dann vielleicht ein Knopfloch auslässt und alles schief sitzt. Aber was ist das eigentlich gegen seinen Stolz, es „ganz alleine“ geschafft zu haben! Setzen Sie nicht für jedes verhalten Regeln fest, sondern lassen Sie Ihr Kind die Freiheit seine eigenen Erfahrungen machen. Schlüpft Ihr Kind öfter mal verkehrt in die Schuhe, können Sie zunächst abwarten, ob es nicht selbst merkt, dass es „andersherum“ viel bequemer wäre. Stellt Ihr Kind das nach ein paar Minuten nicht selbst fest, können Sie immer noch fragen: „Wie wäre das eigentlich, wenn du die Schuhe mal andersherum anziehen würdest? Würde das deinen Füßen besser gefallen?“