Erziehung: Konflikte demokratisch lösen mit der Familienkonferenz!

Bringen Sie alle Familienmitglieder in regelmäßigen Abständen an einen Tisch, um Konflikte so zu lösen, dass keiner dabei verliert. Kinder kommen oft auf Lösungsmöglichkeiten, die wirklich sinnvoll sind und die wir Eltern ihnen niemals zugetraut hätten. Lesen Sie hier, was Sie beachten müssen, um Konflikte in Zukunft demokratisch zu lösen. 

Inhaltsverzeichnis

Erziehungstipps

Das ist die Kernaussage, die hinter den Konzepten des Psychologen Dr. Thomas Gordon oder des Psychiaters und Sozialtherapeuten Professor Rudolf Dreikurs steckt. Beide entwickelten bereits in den 60er Jahren Erziehungsprogramme, die auf einem partnerschaftlichen Umgang von Kindern und Eltern aufbauen sowie Konfliktlösungsstrategien beinhalten, bei denen es keine Verlierer gibt (niederlagelose Methode). Ein wichtiger Bestandteil dieser beiden Erziehungsprogramme ist die Zusammenkunft der gesamten Familie, um Probleme gemeinsam zu lösen und Entscheidungen zu treffen, die jedem gerecht werden. Gordon prägte dafür das Wort „Familienkonferenz“, während Dreikurs sie „Familienrat“ nannte. Diese Zusammenkünfte, im folgenden Text einheitlich Familienkonferenzen genannt, sind für Kinder ab drei Jahren bis in die Pubertät (und dann besonders!) geeignet.

Vorteile der Familienkonferenz beim Lösen von Konflikten in der Familie

Im Rahmen einer Familienkonferenz können Sie über Interessenkonflikte reden, die sonst unweigerlich zu Streit, mieser Laune, Missverständnissen, Rachegefühlen und schlechtem Gewissen führen. Auch wenn die hundertprozentige Demokratie in einer Familie nicht realistisch ist, weil die Abhängigkeit der Kinder von ihren Eltern einfach zu groß ist, sollten Sie Ihrem Kind so viel Mitsprache wie möglich einräumen. So können Machtworte oder Strafen vermieden werden.

Ihr Kind lernt dabei, wie man sich bei Konflikten fair mit anderen Menschen auseinander setzt. Und natürlich werden neue Regelungen, die von allen gemeinsam beschlossen wurden, besser eingehalten als Regeln, die Eltern ihren Kindern aufzwingen. So lernen selbst junge Kinder schon, für ihre Vorschläge und gemeinsame Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen. Und für ihre Konfliktfähigkeit ist diese früh geübte Fähigkeit von großem Wert. Machen Sie sich bitte auch bewusst, dass jedes Problem, das ein Familienmitglied hat, damit zum Problem der gesamten Familie wird. In einer Familie hängt jeder von jedem ab und wird von jedem beeinflusst. Man kann eine Familie mit einem Mobile vergleichen: Zieht man an einer Stelle, bewegt sich gleich alles. Geht es z. B. der Mutter schlecht, leiden auch alle anderen. Ändert sich in einer vierköpfigen Familie das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, bleibt auch das Verhältnis zwischen Vater und Tochter nicht gleich. Gerade deshalb ist es ideal, wenn in die Problemlösung alle Familienmitglieder einbezogen werden.

Regeln für den Erfolg der Familienkonferenz

  • Die Familienkonferenz findet wöchentlich zu einer festgesetzten Zeit statt, die nur mit Zustimmung aller Familienmitglieder geändert werden kann. Bei plötzlich aufgetretenen Problemen kann sie außerplanmäßig einberufen werden. Alle Familienmitglieder sollten anwesend sein.
  • Je jünger Ihr Kind ist bzw. Ihre Kinder sind, umso kürzer sollte die Familienkonferenz ausfallen. Für Dreijährige sollte die Konferenz nicht länger als 20 Minuten dauern, während Kinder mit sechs Jahren auch schon bis zu 40 Minuten lang interessiert mitmachen können.
  • Jedes Mitglied hat das Recht, ein Problem vorzubringen und gehört zu werden. Es ist erlaubt, über alles zu reden: über Wünsche, Klagen, Pläne, Mithilfe im Haushalt, Taschengeld oder Essen.
  • Die Stimme jedes Familienmitgliedes hat das gleiche Gewicht, die Stimme des Vaters oder der Mutter zählt also nicht mehr als die eines Kindes.
  • Die getroffene Entscheidung sollte allen gerecht werden. Können sich ausnahmsweise nicht alle Familienmitglieder auf eine gemeinsam Lösung einigen, gilt die Meinung der Mehrheit.
  • Der Vorsitz sollte reihum gehen, damit kein Familienmitglied die Familienkonferenz beherrschen kann. Die Aufgabe des jeweiligen Vorsitzenden (bei den ersten Zusammenkünften am besten Mutter oder Vater) ist es, jedem Familienmitglied die Gelegenheit zu geben, sein Problem zur Sprache zu bringen.
  • An die Entscheidungen sind alle Familienmitglieder bis zur nächsten Familienkonferenz gebunden. Es darf bis dahin nicht mehr darüber diskutiert werden. Ausnahme: Die getroffene Regelung erweist sich nach einigen Tagen als undurchführbar. Dann kann, wenn alle Familienmitglieder zustimmen, eine außerplanmäßige Zusammenkunft einberufen werden, in der eine neue Lösung gesucht wird.

So gehen Sie vor, wenn Sie ein Problem zur Sprache bringen wollen

1. Den Konflikt identifizieren und definieren

Stellen Sie klar und deutlich fest, dass es ein Problem gibt, und benennen Sie dieses. Beschuldigen Sie Ihr Kind nicht („Immer lässt du deine Sachen liegen!“), sondern sprechen Sie mithilfe von Ich-Botschaften, etwa: „Ich ärgere mich, wenn ich gerade aufgeräumt habe, und im nächsten Augenblick liegt schon wieder eine Menge Spielzeug auf dem Boden. Als ich neulich auf einen Legostein getreten bin, hat das ziemlich wehgetan.“ 

2. Mögliche Lösungen entwickeln

Versuchen Sie, so viele Lösungen wie möglich  zusammenzutragen. Jedes Familienmitglied sollte Lösungsvorschläge einbringen oder seinen Standpunkt darlegen. Fragen Sie Ihr Kind: „Was könnten wir tun, damit in Zukunft weniger Spielzeug auf dem Boden liegt?“ Fällt Ihrem Kind bzw. Ihren Kindern anfangs keine Lösung ein, empfiehlt es sich, nach kurzer Wartezeit selbst einen oder mehrere Vorschläge zu machen, z. B. „Glaubst du, es würde helfen, wenn wir …?“ oder „Was würde geschehen, wenn …?“ Bitte bewerten Sie keine der genannten Lösungsmöglichkeiten (ganz gleich, wie inakzeptabel sie Ihnen erscheinen mag!), sondern akzeptieren Sie alle Vorschläge.

  • Wichtig: Wenn die Eltern die Einzigen sind, die Probleme vortragen und Lösungen vorschlagen, wird die Familienkonferenz „zweckentfremdet“ und nicht funktionieren. Jedes Kind wird schnell merken, dass es weiterhin nur diktiert bekommt, was es zu tun hat.

3. Die verschiedenen Lösungen kritisch bewerten

Fragen Sie alle Familienmitglieder, was sie von den Vorschlägen halten, z. B.:„Welche der Lösungen sieht nach der besten aus?“ Nun kann jedes Familienmitglied vorbringen, welche Regelungen ihm unannehmbar erscheinen (zu gefährlich, ungerecht, zu viel Arbeit, zu teuer – alle Argumente werden ernst genommen!). Die entsprechenden Vorschläge werden verworfen, sodass am Schluss meist nur ein oder zwei Möglichkeiten übrig bleiben, die für alle Familienmitglieder akzeptabel sind. 

4. Sich für die beste Lösung entscheiden

Fragen Sie alle Familienmitglieder, ob sie mit dieser Lösung einverstanden sein können: „Wird das funktionieren?“ und „Seid ihr damit einverstanden?“ Die getroffene Entscheidung ist nicht unumstößlich, sondern wird für einen bestimmten Zeitraum ausprobiert: „Also gut, lasst uns diese Lösung ausprobieren und sehen, ob damit unser Problem gelöst werden kann.“ Überzeugen Sie sich davon, dass alle Familienmitglieder verstanden haben, dass sie sich nun an die getroffenen Regeln und Vereinbarungen halten müssen.

Für den Fall, dass Ihre Familie trotz verschiedener Vorschläge keine akzeptable Lösung für ein Problem finden kann, sollten Sie wertfrei und ohne Schuldzuweisung feststellen: „Ich sehe, wir sind momentan nicht in der Lage, dieses Problem miteinander zu lösen.“ Damit muss dieses Problem offen bleiben und kann zu einem späteren Zeitpunkt  erneut in Angriff genommen werden. 

5. Die Entscheidung ausführen

Besprechen Sie genau, wie die Lösung bzw. neue Regelung umgesetzt wird: „Wer soll was bis wann tun? Was brauchen wir, um die getroffenen Entscheidungen umzusetzen? Muss etwas gekauft werden und, wenn ja, von wem?“ 

6. Ergebnis kritisch bewerten

Nicht alle getroffenen Entscheidungen werden sich als sinnvoll und praktikabel herausstellen. Dann werden sie nach der Probezeit von einer Woche bei der nächsten Familienkonferenz aufgehoben und neu verhandelt. Manchmal wird es genügen, die getroffene Entscheidung nur in einigen Punkten zu modifizieren, manchmal müssen ganz neue Lösungen gefunden werden.

  • Wichtig: Auch wenn sich eine Regelung im Laufe der Woche als ungerecht herausstellt, weil etwa ein Kind mehr Zeit für die übernommenen Arbeiten aufbringen muss als das andere, sollte sie bis zur nächsten Familienkonferenz beibehalten werden. Ansonsten laufen Sie schnell Gefahr, dass nur noch diskutiert wird und die Familie schnell „handlungsunfähig“ wird.

Welche Fehler sollten Eltern vermeiden?

Auch Eltern mit den besten Absichten machen manchmal Fehler, die dazu führen, dass die Familienkonferenz unerfreulich oder gar erfolglos wird. Diese Fehler sollten Sie vermeiden:

  • zu lange reden
  • kritisieren
  • zu oft sprechen (lieber mehr zuhören!)
  • etwas verschleppen
  • sich rechthaberisch verhalten
  • ein Treffen auslassen
  • vergessen, etwas zu Ende zu bringen.

Familienregeln gemeinsam aushandeln

Finden Sie heraus, was Ihnen und Ihrer Familie wirklich wichtig ist, und beschränken Sie sich auf diese wenigen Regeln. Lieber nur drei Regeln konsequent anwenden als sich in einem Regellabyrinth verlieren. Erklären Sie Kindern ab zwei Jahren, warum eine Regel sinnvoll und notwendig ist. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie Ihr Kind immer wieder an die in Ihrer Familie geltenden Regeln erinnern müssen. Klare Regeln, Ermutigungen und eine positive  Erwartungshaltung helfen ihm, sich in der Welt zurechtzufinden. Mit dem Satz „Ich weiß, dass du es schaffst, dich an unsere Abmachung zu halten“ sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie ihm vertrauen und an es glauben.

Kinder lernen aus den Folgen

Bleiben Sie gelassen, wenn Ihr Kind eine Regel verletzt, aber zeigen Sie ihm, dass Sie den Regelverstoß bemerkt haben. Nutzen Sie natürliche und logische Konsequenzen: Konsequenzen stehen in direktem Zusammenhang mit dem Verhalten Ihres Kindes. Kinder müssen die direkten Folgen ihres Handelns oder Nichthandelns spüren, um daraus lernen zu können. Konsequenzen beruhen auf Abmachungen und können in „Wenn …, dann …“-Sätzen formuliert sein. Wenn Ihr Kind ein Spielzeug absichtlich zerstört, dann wird es nicht ersetzt. Wenn es seinen Fahrradhelm nicht aufsetzt, dann darf es nicht Fahrrad fahren. Die Konsequenzen müssen vor der  Grenzüberschreitung klar sein. Das Kind hat somit die Freiheit, die Abmachungen zu respektieren oder die Konsequenzen zu tragen.