Streitgespräche mit Ihrem Kind richtig führen.
Obwohl Ihnen das eigene Kind sehr nahe steht und Sie es gut kennen, können es manche Gespräche mit ihm ganz schön in sich haben. Wut, Ärger und Geschrei bei Meinungsverschiedenheiten kommen in jeder Familie vor, besonders wenn Ihr Kind sich bereits in der Vorpubertät befindet oder in einer späten Trotzphase.
Gesprächsführung bei konfliktgeladenen Themen
Im Alltag mit einem oder mehreren Kindern sind Gespräche unverzichtbar, und nicht immer geht es dabei ruhig und entspannt zu. Vielleicht knallt auch bei Ihnen dann schon mal eine Tür, oder es kullern Tränen? Jetzt würde Ihnen emotionale Distanz oder einfach eine kleine Pause schon helfen. Die Streithähne sind dazu oft aber nicht mehr in der Lage. Zu aufgewühlt sind die Gefühle, zu weit ist der Gesprächskonflikt schon fortgeschritten – die Positionen sind verhärtet.
Sicher fühlt Ihr Kind sich dann bevormundet und in seinen Entscheidungen eingeschränkt. Eltern hingegen ziehen sich auf ihren Erziehungsauftrag zurück und betonen, dass die Entscheidung nur zum Besten des Kindes ist.
Solche unbefriedigenden Konfliktgespräche können Sie in Zukunft vermeiden. Die folgenden zehn Expertentipps helfen Ihnen dabei, Gespräche mit Ihrem Kind respektvoll und lösungsorientiert zu führen.
10 Expertentipps für Streitgespräche
- Signalisieren Sie Interesse durch Blickkontakt und Konzentration! Gehen Sie nicht nebenher einer Tätigkeit nach.
- Lassen Sie Ihr Kind ausreden! Fragen Sie lieber noch einmal nach, ob es alles gesagt hat, bevor Sie reagieren.
- Lassen Sie sich nicht von Vorurteilen ablenken, sondern prüfen Sie Ihre innere Reaktion, bevor Sie antworten!
- Reagieren Sie nicht vorschnell mit Bewertungen! Schlucken Sie Ihre erste Reaktion runter, und zählen Sie bis fünf. Das kühlt die Gemüter ab.
- Seien Sie niemals ironisch oder sarkastisch, das heizt den Konflikt nur an!
- Stellen Sie Fragen, die Sie ehrlich interessieren!
- Haben Sie den Willen, Ihr Kind wirklich zu verstehen, und zeigen Sie das durch Rückfragen!
- Seien Sie ehrlich, und vermeiden Sie Belehrungen! Kennzeichnen Sie Meinungsäußerungen als Ihren individuellen Standpunkt.
- Respektieren Sie Ihr Kind und seine Äußerungen! Gestehen Sie offen zu, wenn Ihr Kind mit einer Aussage Recht hat.
- Beenden Sie das Gespräch, wenn es sich im Kreis dreht oder zu eskalieren droht! Sie können es später jederzeit wieder aufnehmen.
Beispiel: Samuels Idee mit dem Reiterhof
Samuel ist acht Jahre alt und geht in die dritte Klasse. Schon lange möchte er reiten lernen, und nun hat er eine Möglichkeit gefunden, wie er seinen Wunsch verwirklichen kann. In einem gemeinsamen Gespräch möchte er mit seinen Eltern klären, ob er in den Osterferien mit seinem besten Freund Luca dessen Tante in Lübeck besuchen darf, die dort einen Reiterhof betreibt. Die beiden Jungen könnten im Stall mithelfen und würden dafür auch ein paar Reitstunden erhalten. Samuels Eltern sind besorgt und lehnen gleich ab, weil sie weder die Tante kennen noch Ihrem Sohn zutrauen, eine Woche ganz allein Ferien zu machen.
So würde ein negatives Gesprächsbeispiel aussehen (kein Verhandlungsspielraum)
Nach dem Mittagessen spricht Samuel das heikle Thema an. Beide Eltern reagieren zunächst mit einem ironischen „Das darf doch wohl nicht dein Ernst sein?“. Dann steht Samuels Vater ohne ein weiteres Wort auf und räumt das Geschirr zusammen, während seine Mutter in einem Buch blättert. Nebenbei bemerkt sie: „Du bist noch viel zu jung, um allein in Urlaub zu fahren. Ganz bestimmt bekommst du nur Heimweh, wie letzten Sommer. Das erlauben wir auf gar keinen Fall.“ Samuel wird wütend und ruft hilflos: „Ihr seid ja so gemein!“ Dann rennt er in sein Zimmer und wirft sich weinend aufs Bett.
So sieht eine positive Gesprächssituation aus
Punkt 1: Interesse signalisieren
Sobald Samuel seinen Wunsch ausgesprochen hat, setzen sich beide Eltern ruhig zu ihrem Sohn, schauen ihn an und fordern ihn auf, den Wunsch genauer zu erklären.
Punkt 2: Ausreden lassen
Dann lassen sie sich geduldig Samuels Plan erläutern, stellen Verständnisfragen und nicken nur hin und wieder mit dem Kopf.
Punkt 3: keine Vorurteile
Obwohl Samuels Mutter noch ganz genau weiß, wie stark das Heimweh Ihres Sohnes im letzten Sommer war, lässt sie sich von dieser Erinnerung nicht beeinflussen. Sie ist offen dafür, dass Samuel sein Heimweh überwunden haben könnte.
Punkt 4: nicht vorschnell bewerten
Auch Samuels Vater, der nicht glaubt, dass ein achtjähriger Junge schon allein in Urlaub fahren sollte, hält sich mit seiner Bewertung der Situation vorerst bewusst zurück. Er will abwarten und den Plan als Ganzes bewerten.
Punkt 5: kein Sarkasmus
Es liegt ihm auf der Zunge, seinen Sohn sarkastisch mit „kleiner Angsthase“ zu titulieren und zu sagen, dass er selber in den Osterferien am liebsten mit Madonna einen Bühnenauftritt haben möchte . Doch auch diese ironische Äußerung schluckt er schnell runter.
Punkt 6: ehrliche Fragen
Als Samuel seinen Plan fertig erläutert hat, stellen seine Eltern ein paar Sicherheitsfragen. Sie wollen wissen, wie die Tante genau heißt, wie groß der Reiterhof ist, ob Luca schon mit seinen Eltern gesprochen hat und warum Samuel glaubt, dass er diese elternlose Woche Heimweh gut überstehen wird.
Punkt 7: Kind verstehen wollen
Beide Eltern sind keine Reiter, sie können mit Pferden nicht viel anfangen. Trotzdem versuchen sie ernsthaft, das große Interesse Ihres Sohnes an den Tieren nachzuvollziehen. Sie fragen: „Was begeistert dich denn so am Reiten?“
Punkt 8: ehrlich sein
Samuels Mutter reagiert anschließend auf den Plan mit dem ehrlichen Bekenntnis: „Also, ich habe Angst um dich, wenn du mit nur acht Jahren schon ohne uns Urlaub machen willst. Wenn etwas passiert, können wir dir nicht helfen. Da würde ich ja nachts kein Auge zukriegen, solange du weg bist.“
Punkt 9: Respekt zeigen
Samuels Vater erwidert: „Ich finde es schon toll, dass unser Sohn so einen Plan hat. Schließlich ist es ja eine richtig gute Idee. Und er wird älter, wir sollten seine Idee gründlich überdenken.“
Punkt 10: rechtzeitig pausieren
„Aber Samuel ist noch zu jung!“, wirft die Mutter ein. „Ich habe dann zu viel Angst um ihn, schließlich kennen wir die Leute doch gar nicht.“ An dieser Stelle bricht die Familie das Gespräch ab und vertagt die Frage auf den nächsten Tag. Jeder will noch einmal über die Idee nachdenken und vielleicht Lösungsvorschläge für die aufgetretenen Probleme finden.