Kindererziehung: Halt geben und Freiräume lassen

Kinder brauchen Eltern, die ihnen zeigen, wo’s langgeht. Denn verwöhnte Kinder, die „grenzenlos“ aufwachsen, haben es später im Leben schwer. Eltern sollten zwar Autorität haben, aber ohne sich autoritär aufzuführen. Lesen Sie hier, wie Sie diese Herausforderung in der Kindererziehung meistern. 

Inhaltsverzeichnis

Wie streng müssen Eltern sein?

Spätestens seit Bernhard Buebs Buch „Lob der Disziplin“  und aktuell wieder seit dem Buch der „Tiger Mam“ wird in Deutschland intensiv diskutiert, ob unsere Kindererziehung nicht mehr Strenge und Disziplin braucht. Sieht man sich die Zustände an deutschen Schulen an (z. B. Rütli-Schule in Berlin, Amoklauf in Emsdetten), möchte man zu Buebs Empfehlungen, die da lauten „Strenge, Härte, Disziplin ohne Debatte“, zustimmend nicken. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Kinderziehung: Kinder brauchen Klarheit

„Möchtest du jetzt schlafen?“ oder „Sollen wir nachher auf den Spielplatz gehen?“: Nicht wenige Kinder werden in der Frageform „erzogen“, obwohl die Kleinen auf die Dauer damit überfordert sind, ständig selbst entscheiden zu dürfen – nein, zu müssen. Stattdessen brauchen Kinder Klarheit, Halt und damit auch feste Vorgaben, z. B. einen vorgegebenen Tagesablauf, an dem sie sich orientieren können. Zu vielen Zweijährigen wird prompt ein Fläschchen serviert, wann immer sie danach quengeln. Viele Kinder bekommen beim Essen eine Extrawurst, und wenn sie etwas nicht mögen, springt die Mutter und kocht sofort etwas anderes oder schmiert stattdessen ein Marmeladebrot. Und viele Eltern beenden seufzend das Gespräch mit einem Nachbarn, wenn ihr Kindergartenkind penetrant stört, weil es nicht im Mittelpunkt steht oder weil ihm zu langweilig geworden ist. Natürlich ist Erziehung gerade in solchen Situationen oft sehr anstrengend und unbequem, wenn man als Vater oder Mutter standfest bleibt. Doch gerade den festen elterlichen Standpunkt brauchen Kinder, damit sie im Lauf ihrer Entwicklung einen eigenen Standpunkt finden können.

Kindererziehung: Die „neue Strenge“ bietet Kindern Halt

Wie also soll Kindererziehung aussehen, damit Kinder, damit sie zu zufriedenen und leistungsbereiten Erwachsenen heranwachsen?

  • Führung:

    Ganz klar: Mama und Papa geben den Ton an! Gleichberechtigung zwischen Eltern und Kindern gibt es de facto nicht, denn Eltern tragen die volle Verantwortung. Gleichberechtigung würde nämlich bedeuten, dass das Kind dasselbe Maß an Pflichten und Verantwortung übernehmen müsste. Kinder können somit nicht gleichberechtigt sein. Eltern sollten sich aber immer so verhalten, dass sie die Würde ihres Kindes nicht verletzen. Trotzdem dürfen Eltern vom Kind erwarten, dass es folgt – wenn auch nicht immer ohne Diskussion. Gehorsam ist etwas, das Kinder ohne Zwang lernen können. So betont z. B. der Schweizer Kinderarzt und Entwicklungsforscher Remo Largo, dass Kinder von Natur aus dazu angelegt sind zu gehorchen, sich von ihren Bezugspersonen leiten zu lassen und sich an deren Verhalten zu orientieren.
  • Nähe:

    Eltern, die ihr Kind „am kurzen Zügel“ halten, sind ihrem Kind nahe und investieren eine Menge Zeit. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie ihr Kind ständig kontrollieren oder schnell mit Strafen bei der Hand sein sollten, sondern dass sie ein offenes Ohr für seine Nöte haben und da sind, wenn das Kind sie braucht. So kann das Kind spüren, dass seine Eltern sich Mühe geben mit ihm und dass es ihnen nicht egal ist, was aus ihm wird.
  • Grenzen und Konsequenzen:

    Regeln werden von Kindern akzeptiert, wenn Eltern vernünftig damit umgehen. Dazu gehört, dass sie klar sagen, was sie vom Kind wollen, und dies auch begründen. Auch muss die Anzahl der Regeln überschaubar bleiben. Außerdem sollten Eltern bei einer einmal getroffenen Entscheidung möglichst konsequent bleiben, auch wenn ihre Kinder Kinder mit Trotz reagieren – wobei Ausnahmen sein dürfen und manchmal sogar sinnvoll sind (siehe unten)!
  • Herausforderung:

    Kinder haben ein Recht zu lernen. Eltern, die das Selbstbewusstsein ihres Kindes stärken wollen, müssen ihm zeigen, zu welchen Leistungen es fähig ist. Dazu müssen sie manchmal auch Unbequemes von ihm fordern. Können sie ihr Kind motivieren, bei Schwierigkeiten durchzuhalten statt aufzugeben, wird das Kind gestärkt aus der Situation hervorgehen, wenn es sein Ziel doch aus eigener Kraft erreicht hat. Auf den Punkt gebracht, brauchen Kinder Liebe und Grenzen, damit Erziehung gelingt. Keines von beiden führt allein zum Erfolg. Eltern, die ihrem Kind Grenzen setzen, lieben es deshalb nicht weniger! Ungünstig ist es nur, wenn einem keine angemessenen Konsequenzen mehr einfallen und man deshalb mit Liebesentzug reagiert. Sätze wie „Ich will dich nicht mehr sehen!“ sollten Sie vermeiden und Ihr Kind keinesfalls durch Ignorieren strafen. Fehlverhalten dürfen Sie jedoch kurzfristig ignorieren, um Ihrem Kind zu zeigen, dass es damit nichts erreicht.

Kindererziehung kommt nicht ohne Verbote aus

Erziehung kommt nicht ohne Verbote aus. Doch sollten sie zumindest so sparsam wie möglich eingesetzt werden. Im Babyalter machen Verbote wenig Sinn, denn einerseits werden sie, so lange das Kind ihren Sinn noch nicht verstehen kann, nur im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert. Nach wenigen Minuten sind Mutters mahnende Worte also schon wieder vergessen. Andrerseits können Kinder unter zwei Jahren noch nicht zwischen dem Verbot an sich („Finger weg vom Videorekorder!“) und Kritik an ihrer Person unterscheiden. Wenn Mami mit strengem Gesicht und barschem Tonfall ein Verbot ausspricht, fühlen sich die Kleinen als  Person abgelehnt.

Das bedeutet, dass Eltern die Zahl der Verbote möglichst reduzieren sollten auf die wirklich wichtigen Dinge. Ein „Nein!“ möglichst freundlich auszusprechen, hat übrigens auch keinen Zweck, denn dann erregt es beim Kind gar nicht erst die nötige Aufmerksamkeit. Aber noch aus einem anderen Grund ist es besser, mit Verboten sparsam zu sein. Untersuchungen belegen, dass Eltern, die wenig verbieten, folgsamere Kinder haben. So ließen Psychologen Einjährige mit ihren Müttern in einem Raum spielen, in dem es viele interessante Dinge gab. Zwei davon durften die Kleinen nicht anfassen. Es zeigte sich, dass diejenigen Kinder, deren Bedürfnisse und Wünsche nach Möglichkeit respektiert wurden, sich eher von den Tabu- Gegenständen fernhielten. Einjährige, deren Eltern viel verboten und drohten, nutzten hingegen jede Gelegenheit, um sich über ein Nein hinwegzusetzen. In Abwesenheit ihrer Mutter missachteten sie Verbote häufiger als die anderen Kinder. Wurde die Anzahl der Dinge erhöht, die verboten waren, hatten auch kooperative Kinder mehr Schwierigkeiten, sich an die Regeln zu halten.

  • Fazit zur Kindererziehung:  Kinder sind nicht etwa durch ein besonders häufiges „Nein-Training“ folgsam, sondern dann, wenn die Zahl der Verbote auf die wirklich wichtigen Dinge beschränkt bleibt und ihre Wünsche ansonsten möglichst respektiert werden.

So wird Ihr Kind folgen

Wie bekommen Eltern ihr Kind dazu, sich an Regeln und Grenzen zu halten? Es gibt vier Grundsätze, die Sie beachten sollten:

1.Verlassen Sie sich in der Erziehung nicht nur auf Ihren Instinkt. Handeln Sie bewusst, logisch und konsequent. Erklären Sie kurz, warum Ihr Kind etwas machen sollte. Machen Sie nicht zu viele Ausnahmen von einer Regel. Manche Dinge müssen täglich eingeübt werden, etwa Schuhe ausziehen, wenn man von draußen reinkommt, oder Hände waschen vor dem Essen. Dafür gibt es später dann kaum noch Stress, weil Ihr Kind sich automatisch an diese Vorgaben halten wird.
2.Bringen Sie Ihr Kind dazu, richtig zuzuhören. Das klappt nicht mit aus der Küche nebenbei ausgesprochenen Anweisungen oder Verboten – in der Regel auch nicht nach der dritten Wiederholung! Gehen Sie zu Ihrem Kind oder rufen Sie es zu sich. Sprechen Sie es mit Namen an und sehen Sie ihm in die Augen, am besten auf Augenhöhe (eventuell in die Hocke gehen). Einem unaufmerksamen Kind legen Sie vielleicht zusätzlich noch eine Hand auf die Schulter. Sagen Sie Ihrem Kind kurz und knapp in klaren Worten, was es tun sollte. Lassen Sie es eventuell sogar die Anweisung noch einmal wiederholen („Also, was sollst du tun?“).
3.Fordern Sie nichts, wenn Sie genau wissen, dass Ihr Kind sich doch nicht daran halten wird – oder wenn Sie nicht bereit und in der Lage sind, das Geforderte notfalls konsequent durchzusetzen. Beispiel: Ihr Kind spielt im Garten und buddelt mit Hingabe in den Blumenbeeten nach Regenwürmern. Dabei gräbt es immer wieder Pflanzen und Blumenzwiebeln aus. Aber Regenwürmer sind nun mal seine Leidenschaft – ein Verbot nützt nichts. Wenn Sie nicht ständig dabeibleiben, können Sie dieses Verbot nicht durchsetzen. Entweder bewachen Sie Ihr Kind tatsächlich auf Schritt und Tritt, was für Sie beide eher frustrierend ist. Oder Sie vereinbaren einen Kompromiss, dass Ihr Kind an einer bestimmten Ecke oder in einem bestimmten Beet graben darf. Aber auch hier ist gelegentliche Kontrolle nötig, um zu sehen, ob Ihr Kind sich daran hält.
4.Wenn Sie im Unklaren sind, wie Sie in einer bestimmten Situation reagieren sollten, machen Sie erst mal gar nichts. Drücken Sie in diesem Fall lieber mal ein Auge zu oder versuchen Sie, Ihr Kind mit etwas Interessantem abzulenken. Wenn Sie selbst schon nicht wissen, ob Ihr Kind etwas tun soll oder aber lassen muss, kann es sich nicht um weltbewegende Dinge handeln. Außerdem können Sie Ihrem Kind in diesen Fällen oft keine überzeugenden Anweisungen geben, weil Sie selbst unsicher sind.

Lassen Sie sich nicht auf Machtkämpfe ein

Sie kennen das sicher: Sie verlangen etwas von Ihrem Kind, es sieht Sie trotzig an und macht nicht die geringsten Anstalten, das zu tun, was Sie von ihm wollen – da hilft oft auch keine Erklärung, warum dieses oder jenes gemacht werden soll. Da kann man als Mutter oder Vater schon mal ausrasten. Was tun? Schließlich heißt es immer, man sollte möglichst konsequent sein und sich durchsetzen. Wenn Ihr Kind sich verweigert, sind Sie als Erwachsener ziemlich machtlos. Auch die Androhung von Strafe oder das Streichen von Vergünstigungen läuft dann oft ins Leere, weil kleine Dickköpfe das mit einem trotzigen „Na und! Macht mir doch nichts!“ an sich abprallen lassen.Weder Sie noch Ihr Kind können in einer solchen Situation gewinnen, denn jede Partei versucht mit aller Macht, ihren Kopf durchzusetzen. In so einem Zustand innerer Aufruhr bei allen Beteiligten läuft Erziehung oft ins Leere. 

Besser ist es, Ihr Kind in „harmlosen“ Situationen, wenn es aufnahmefähig ist, dazu zu bringen, Ihren Aufforderungen Folge zu leisten. Geraden in den ersten Lebensjahren ist das ein kontinuierlicher Prozess, der umso besser gelingt, je weniger Sie dabei schimpfen. Erziehung funktioniert dann am besten, wenn es allen Beteiligen gut geht, und nicht erst, wenn es schon an allen Ecken „brennt“! Bei akuten Machtkämpfen macht es oft mehr Sinn, sich elegant aus der Konfrontation zurückzuziehen, sodass es auf beiden Seiten keinen Verlierer gibt. Sie können versuchen, die Anforderungen für dieses eine Mal so weit zu reduzieren, dass Ihr Kind doch noch mitmacht, oder ihm dabei zu helfen. Vielleicht müssen Sie ihm für die ersten Handgriffe sogar die Hand führen. Womöglich hilft ein Szenenwechsel: Schlagen Sie beispielsweise vor, erst einmal eine Tasse Tee zusammen zu trinken oder einen kurzen Spaziergang zu machen, bevor Sie das strittige Thema – möglichst unaufgeregt – noch einmal in Angriff nehmen. Bei Kleinkindern, die ein Objekt ihrer Begierde trotz Ermahnung nicht in Ruhe lassen können, ist es am besten, diesen Gegenstand vorübergehend außer Reichweite zu legen.

Konsequenz ja, aber nicht um jeden Preis!

Eltern, die immer nur streng auf die Einhaltung von Regeln pochen, schüchtern ihr Kind eher ein. Es ist also durchaus okay, wenn Ihr Kind Sie mal „rumkriegt“. Weil Eltern ihrem Kind sowieso in allen Bereichen überlegen sind, zeugt es von Großzügigkeit, wenn sie ihr Kind das nicht ständig spüren lassen. Und das Leben verläuft sowieso nicht immer in streng geregelten Bahnen. Deswegen darf Ihr Kind durchaus auch mal erleben, dass Sie von Ihren Prinzipien abrücken. Dabei lernt es etwas für die Zukunft, denn weder in Beziehungen noch später im Beruf kommt man mit purer Sturheit wirklich weiter. In diesen Situationen ist Inkonsequenz erlaubt:

  • Wenn Ihr Kind selbst einsieht, dass es sich falsch verhalten hat und das ehrlich bereut, brauchen Sie es nicht zusätzlich zu bestrafen. Helfen Sie ihm in diesen Fällen lieber bei der Wiedergutmachung.
  • Wenn der kleine Missetäter schon genug gestraft ist – etwa weil er sich beim verbotenen Klettern über den Zaun des Nachbarn die Knie aufgeschlagen hat –, hilft In-den-Arm-Nehmen mehr als Vorwürfe.
  • Wenn eine besondere Situation ein besonderes Vorgehen erfordert: Auch wenn das Elternbett prinzipiell nachts für Ihr Kind tabu ist, darf es z. B. bei Erkrankungen bei Ihnen schlafen.
  • Wenn im Alltag die Situation verfahren ist, weil Ihr müder kleiner Quengler sich z. B. partout nicht mehr ausziehen lassen will, hilft manchmal statt Strenge eine Portion Humor: „Okay, wenn du dich nicht ausziehen lassen willst, zieh ich mich aus und schlüpfe in deinen Schlafanzug!“ Solche unerwarteten Reaktionen können einen drohenden Machtkampf entschärfen. Wahrscheinlich muss Ihr Kind spätestens dann lachen, wenn Sie mit dem Pyjamaoberteil auf dem Kopf herumlaufen und „verzweifelt“ versuchen, es über den Kopf zu bekommen. Oft – leider nicht immer! – ist die Spannung dann gelöst, und Ihr Kind ist wieder kooperativ.
  • Wenn Sie selbst lachen müssen: Auch wenn die Küche bei Ihnen eigentlich „spielzeugfreie Zone“ bleiben sollte, finden Sie die Idee Ihres Sprösslings, die Spüle mit seinen Legotieren in ein Alligatorbecken zu verwandeln, wirklich gelungen. Bei so viel Kreativität dürfen Sie auf Strafe verzichten!