Erziehung – Anders als meine Eltern!
Viele junge Eltern speisen ihre Vorstellungen ihrer Erziehung unbewusst aus ihren eigenen Erziehungserfahrungen als Kinder. Nicht selten entsteht so das Bedürfnis der „neuen“ Eltern, ihre Kinder anders, auf keinen Fall so wie die eigenen Eltern zu erziehen. Häufig zeigt sich dann, wenn die eigenen Kinder in die Pubertät kommen und Ihre elterlichen Erziehungsvorstellungen auf heftige Gegenwehr stoßen oder zumindest regelmäßig auf die Probe gestellt werden, dass dieser Weg nicht immer leicht ist.
Hauptsache nicht so, wie früher
Auch Hannes K., Vater von drei Kindern in der Pubertät zwischen zehn und 15 Jahren, ist in die Falle getappt, alles anders machen zu wollen: Sein Sohn Adrian, 13 Jahre, habe ihn mal gefragt, warum er immer ruhig bleiben, nicht schreien oder ausflippen würde wie andere Väter. Da habe er ihm die Gründe dafür erklärt: „Dein Opa hat früher schnell losgepoltert, hat uns angeschrien und nur seine Meinung gelten lassen. So wollte ich niemals sein! Ich wollte keine lauten Worte, sondern dass wir respektvoll miteinander umgehen!“
Da habe Adrian ihn angeschaut und gefragt: „Du wusstest also, wenn Opa sauer war?“ „Klar!“, wäre seine Antwort gewesen. „Das war ja nicht zu übersehen und zu überhören!“ Natürlich, erinnert sich Hannes K. schmunzelnd, wäre das „eine Steilvorlage der feinsten Art“ gewesen. Vor ein paar Wochen habe er sich mit Adrian darüber gestritten, wann er am Abend zu Hause sein sollte: „Er wollte um 12 Uhr in der Nacht, ich wollte, dass er spätestens um zehn wieder da ist!“
Adrian habe sich aber „partout“ nicht überzeugen lassen, ein Widerwort habe das nächste nach sich gezogen, und irgendwann sei es ihm dann zu bunt geworden: „Du bist um zehn zu Hause“, habe er außer sich geschrien. „Wissen Sie, was Adrian dann lächelnd fragte: ‚Warum um zehn, Papa?‘“ Sein Sohn habe sich schon was getraut. Daraufhin hätte er vor Wut gebrüllt: „Weil ich es will, Adrian!“ Und dann habe Adrian den absoluten Tiefschlag gesetzt und cool bemerkt: „Papa, du bist wie Opa. Nur schlimmer!‘“
Hannes K. atmet tief aus: „Ich glaube, er hat Recht!“
Dieser Gesprächsausschnitt zeigt deutlich, was es heißt, alles anders machen zu wollen, als die eigenen Eltern es getan haben: Man gerät sehenden Auges in Fallen und schneidet sich zugleich von Ressourcen ab, die für die Beziehung zu den eigenen Kindern so wichtig sind.
Erziehung nach dem Motto: „Ich will doch nur dein Bestes“
Haben Sie es mit Kindern zu tun, dann haben Sie es immer mit zwei Kindern zu tun: Ihrem eigenen Kind, das vor Ihnen steht und das Sie ins Leben begleiten – angefangen von der Geburt und dem Kleinkindalter, dem Schulalter und der Pubertät. Jenes Kind, das Schutz braucht und Geborgenheit benötigt. Aber dann ist da noch jenes Kind, das in Ihrem Inneren wohnt, jenes Kind von früher, das vielleicht vieles erhalten hat, aber vieles auch nicht, was sehnsüchtig auf Zuwendung gewartet hat, auf die eine kleine emotionale Kuscheleinheit, die liebevolle Geste, das sich Dankbarkeit erhoffte, aber Ablehnung erfahren hat – gar nicht mal bösartig oder absichtsvoll. Dieses „innere Kind“, das gelitten hat, zu kurz gekommen ist, ungerecht behandelt wurde, wohnt in vielen Erwachsenen. Vielleicht spüren oder fühlen Sie es auch manchmal. Da Sie aber die Vergangenheit nicht wiederherstellen können, kann der Gedanke hochkommen:
Mein eigenes Kind, meine eigenen Kinder sollen nicht so leiden, so traurig, so verletzt sein, wie ich es früher war. So versuchen viele Eltern, selbst erlittenes Unrecht an ihrem „inneren Kind“, an dem eigenen Kind wieder gutzumachen. Diese Erziehungshaltung ist oft getragen von Mitleid für das Kind, von Über-Fürsorge, von Überbehütung. Als Eltern tut man nun alles für das eigene Kind und nimmt sich selbst dabei nicht mehr ernst.
Ihr eigenes Kind wird so schnell zur Projektionsfläche einer vermeintlich idealen, widerspruchsfreien Erziehung, die unter der Überschrift „Ich will doch nur dein Bestes“ daherkommt.
Doch dieser Satz stresst alle Beteiligten, weil er Sie als Eltern genauso unter Druck setzt wie auch Ihre Kinder: Eltern, die Erziehung als Hochleistung missverstehen, sich keinen Fehler in der Erziehung erlauben und nichts verzeihen, deren Kinder spüren, dass diese Fürsorge und diese Behütung nicht selbstlos gegeben werden. Sie ist an die Bedingungen geknüpft zu funktionieren und den Erwartungen der Eltern zu genügen.
Die ehrliche Beantwortung dieser Fragen führt dazu, nicht alles, was die „Alten“ getan haben, „in Bausch und Bogen“ zu verdammen. Der differenzierte Blick auf das Erziehungsverhalten
Ihrer Eltern ermöglicht es Ihnen, sich selbst als Lernende wahrzunehmen. Sie stehen zwar in einer Familien- und Erziehungstradition, aber Sie sind frei darin zu entscheiden, was Sie davon übernehmen, verändern oder ablehnen möchten.
Ein Beispiel: Rituale früher und heute
Von vielen „heutigen“ Eltern erfahre ich immer wieder, wie sehr sie unter den damaligen festgelegten Ritualen gelitten haben: Sie mussten als Kinder zum Mittag- oder Abendessen zu Hause sein, Ausnahmen gab es keine oder nur sehr selten. Solche Rituale waren „heilig“. Und mancher hatte sich damals geschworen, „bei mir wird es später so etwas nicht geben. Ich werde auf diese Rituale verzichten“.
Mit einem Mal stellen viele dieser Eltern dann in der Gegenwart fest, dass haltgebende Strukturen fehlen: Jeder isst, wann er will; jeder macht, was ihm gerade so in den Kram passt; jeder lebt sein eigenes Ding. Gemeinsamkeiten gibt es kaum noch – und wenn, dann zu Festtagen. Sie enden dann im Chaos, weil die Familienmitglieder es nicht mehr gewohnt sind, sich aufeinander einzulassen. Rituale, die nur dazu da sind, dass jemand dadurch Macht ausübt, und das ist in früheren Generationen sehr wohl geschehen (Motto: „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst …“), sind überflüssig, sie entleeren den Sinn des Rituals.
Aber jene Rituale, in denen sich ein Familienzusammenhalt, eine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zeigt, in denen es nicht um Macht, sondern um die „Macht der Gewohnheit“ geht, jene Rituale sind wichtig, weil sie Heranwachsenden in einer Zeit der Beliebigkeit haltgebende Strukturen vermitteln.
Die Bedeutung der Großeltern für Ihr heranwachsendes Kind
Wer mit Kindern und Jugendlichen redet, erfährt schnell die Wertigkeit, die die Großeltern, für die nachwachsende Generation einnehmen. Bei Oma und Opa ist es eben nicht nur anders oder man darf mehr: Oma und Opa repräsentieren gelebtes Leben, erzählen davon, wie es einst war – eben nicht nur davon, dass alles besser war. Mancher Großvater berichtet davon, dass er die Klasse wiederholt hat, manche Großmutter, dass sie als Mädchen nicht zur weiterführenden Schule durfte, weil sie eben ein Mädchen war. Aber Oma wie Opa können auch davon erzählen, wie eine Kindheit ohne Auto, Fernsehen oder Computer ausgesehen hat. Großeltern sind Wurzeln, ohne die der nachfolgenden Generation keine Flügel wachsen. Für Sie als Eltern heißt das, sich der Verantwortung als „Wurzel“ für das eigene Kind bewusst zu werden. Das geht nur, wenn Sie sich auseinandersetzen mit den widersprüchlichen Erfahrungen, die an die Oberfläche kommen, wenn Sie an Ihre eigene Kindheit denken, und dabei nichts verklären, aber auch nichts pauschal verdammen.
Denken Sie daran, wie Kinder an den Lippen von Mutter und Vater hängen, wenn diese von der eigenen Kindheit erzählen. So erfahren die Kinder viel von ihren eigenen Eltern darüber, wie sie einst waren und wie sie nun sind: Das gibt ihnen Halt und Orientierung für ihren eigenen Weg in das Erwachsensein.