Warum Eltern nicht die besten Freunde ihres Kindes sein sollten
„Meine Mutter ist meine beste Freundin“. Haben Sie diesen Satz auch schon gehört? Oft wird diese Situation als Idealzustand gesehen, weil suggeriert wird, dass das Verhältnis in diesem Fall besonders innig und harmonisch sei. Lesen Sie in diesem Beitrag, warum es gar nicht erstrebenswert ist, „best friend“ mit den eigenen Kindern zu sein. Und warum es für die Entwicklung der Kinder gerade in der Pubertät wichtig ist, dass Eltern emotional zugewandt, aber gleichzeitig auch innerlich klar abgegrenzt sind.
Erziehungstipps
Kinder und Jugendliche brauchen für ihre Entwicklung dringend die Zuwendung und Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Darüber sind sich die Experten einig, und auch Eltern wissen das natürlich. Weniger klar ist aber vielen, dass Kinder ebenso dringend abgegrenzte Eltern brauchen. Damit ist nicht gemeint, dass sich Eltern emotional oder mental distanzieren sollten, sondern dass sie im Kontakt mit ihren Kinder gleichermaßen zugewandt und bei sich selbst bleiben sollten. Das ist manchmal eine schwierige Gratwanderung. Je reifer und selbstbewusster Eltern sind, desto leichter fällt es ihnen, diese Haltung ihren Kindern gegenüber einzunehmen.
In der Eltern-Kind-Beziehung herrscht zwar Gleichwertigkeit, aber keine Gleichrangigkeit
Es ist natürlich erstrebenswert, dass Sie Ihr Kind ernst nehmen und es bei wichtigen Entscheidungen einbeziehen. Das heißt aber nicht, dass es gleichberechtigt mitbestimmen kann. Denn erstens verfügt es natürlich über weniger Lebenserfahrung als Sie, und zweitens kann es die Folgen bestimmter Entscheidungen gar nicht absehen. Die beste Methode, Ihr Kind gleichwertig zu behandeln besteht also darin, es mit seiner Meinung und in seinem Erleben ernst zu nehmen, dabei aber gleichermaßen zu berücksichtigen, dass es noch einen gewissen Schutz und ein bisschen Rückendeckung bedarf, den Sie als Erwachsener bieten können. Je selbstständiger Ihr Kind wird, desto mehr können Sie sich dann aus dieser Position herausbewegen.
Erziehen Sie Ihr Kind partnerschaftlich, aber nicht freundschaftlich-kumpelhaft
Jugendliche schätzen einen partnerschaftlichen Umgang, das heißt, wenn sie sich ernst genommen sowie als vollwertige Menschen mit eigenständigen Wünschen, Gefühlen und Bedürfnissen wahrgenommen fühlen. Dann sind sie in der Regel von sich aus bereit, sich z. B. mit bestimmten elterlichen Vorgaben zu arrangieren oder Ratschläge zu befolgen. Sie fühlen sich wertgeschätzt und vertrauen darauf, dass der Erwachsene in ihrem Sinne und zu ihrem Wohle entscheidet, auch wenn diese Entscheidung manchmal nicht ihren aktuellen Wünschen entspricht. Schwieriger wird es für Jugendliche, wenn sie von ihren Eltern durch allzu kumpelhaftes Verhalten zu Freunden gemacht werden sollen. Sie vermissen dann den Halt, den souveräne Eltern eigentlich geben sollten. Außerdem rutschen sie damit in eine Rolle, die sie überfordert: Sie werden häufig zu Beratern ihrer Eltern oder haben das Gefühl, sich immer gut mit ihnen verstehen zu müssen. Das widerspricht dem Grundbedürfnis von Jugendlichen, sich an Eltern zu reiben, ihnen Kontra zu geben und dadurch immer selbstständiger zu werden. Ein allzu freundschaftlicher Umgang mit den Kindern verhindert, dass sie unabhängig werden. Sie werden durch eine falsch verstandene Solidarität unnötig eng an den Elternteil gebunden. Ablösungsversuche gehen dann oft mit massiven Loyalitätskonflikten einher, was später zu schwerwiegenden Problemen führen kann.
Kinder und Jugendliche brauchen abgegrenzte Eltern
Wenn Eltern ihre Kinder auf kumpelhaft-freundschaftliche Art über Gebühr emotional an sich binden, hat das oft mit ihrer eigenen Bedürftigkeit zu tun. Sie suchen dann in dem engen Kontakt mit ihren Kindern Bestätigung und Nähe, die sie woanders nicht finden. Das ist zwar verständlich, erschwert den Jugendlichen aber das Erwachsenwerden erheblich. Wichtig ist für Jugendliche, zu wissen,
- dass Eltern ihr eigenes Leben leben und nicht ausschließlich auf die Kinder fixiert sind;
- dass die Eltern Hobbys und Interessen haben, die über das Familienleben hinausgehen;
- dass Eltern Freunde haben, mit denen sie sich austauschen und Probleme besprechen können;
- dass Eltern mit ihren Schwierigkeiten allein klarkommen;
- dass die Eltern es emotional verkraften werden, wenn sie erwachsen und unabhängig werden;
- dass sie nicht für das Glück und Wohlbefinden ihrer Eltern zuständig sind.
Was es bedeutet, emotional abgegrenzt zu sein
Emotional abgegrenzt zu sein heißt, dass man die Gefühle einer nahestehenden Person nicht sofort zu den eigenen macht, sondern die Gefühle des Gegenübers ebenso wie seine eigenen Gefühle wahrnehmen kann.
Ein abgegrenztes und gleichermaßen zugewandtes Elternteil kann sich beispielsweise einem traurigen Jugendlichen verbunden und nahe fühlen, ohne selbst furchtbar traurig zu werden. Er kann Mitgefühl empfinden, ohne sich selbst schlecht zu fühlen.
Er ist zudem selbstreflektiv und kann die eigenen Gefühle von dem Verhalten des Kindes abkoppeln. Er sagt dann nicht etwa „Mein Kind macht mich rasend, weil es sich so schlecht benimmt!“, sondern „Das Verhalten meines Kindes löst in mir ein Gefühl von Hilflosigkeit aus, das ich nicht gut aushalten kann“.
Ein emotional abgegrenzter Erwachsener macht seine eigenen Gefühle und Befindlichkeiten nicht von den Gefühlen und Launen seines Kindes abhängig. Sätze wie „Ich bin nur glücklich, wenn mein Kind glücklich ist“, sind ihm fremd. Vielmehr kann er gut damit umgehen, dass Menschen unterschiedliche Gefühle haben und sich in unterschiedlichen Lebenssituationen befinden, die gleichberechtigt nebeneinander existieren können.
Die Kunst der echten Begegnung zwischen Eltern und Jugendlichen liegt also darin, dem anderen emotional nah, aber nicht symbiotisch miteinander zu verstrickt zu sein. Das ist manchmal gar nicht so leicht, lässt sich aber mit einer gewissen Grundhaltung gut erlernen.
5 Tipps: Wie Sie es schaffen, gleichzeitig abgegrenzt und zugewandt zu sein
- Arbeiten Sie immer mal wieder an Ihrer Selbstreflektivität, und hinterfragen Sie Ihre emotionalen Reaktionen: Was macht Sie traurig, ärgerlich oder froh?
- Machen Sie sich klar, dass Sie allein verantwortlich für Ihre Gefühle sind. Sind Sie beispielsweise wütend auf Ihr Kind, ist das Kind nicht schuld daran – obwohl es diese Gefühle ausgelöst haben mag.
- Gehen Sie achtsam und akzeptierend mit den Gefühlen Ihres Kindes um. Respektieren Sie sie, und achten Sie darauf, wie Sie innerlich reagieren.
- Akzeptieren Sie, dass Ihre Kinder ein Recht auf eigene und vor allem andere Gefühle und Gedanken haben, die von Ihnen nicht vereinnahmt werden sollten. Ein Satz wie „Wenn du traurig bist, bin ich auch traurig“ ist eine solche Vereinnahmung.
- Prüfen Sie hin und wieder, ob es Ihnen schwerfällt, Ihr Kind unabhängig werden zu lassen. Was befürchten Sie, und was für Gefühle löst dieser Gedanke aus?
Je besser Sie über sich, Ihre Gefühle und Bedürfnisse Bescheid wissen und je bewusster Sie dafür die volle Verantwortung übernehmen, desto leichter fällt es Ihnen, Ihr Kind positiv abgegrenzt und gleichzeitig liebevoll begleiten zu können.