Warum es so wichtig ist, Jugendliche loszulassen

Teenager versuchen oft mit allen Mitteln, sich von ihren Eltern abzugrenzen. Das gelingt ihnen am besten, wenn sie zu ihnen eine vertrauensvolle, aber nicht zu enge Beziehung haben. Doch auch Eltern müssen etwas dazu beitragen, dass die Kinder sich abnabeln können. In diesem Beitrag geht es darum, warum es so wichtig ist, Kinder nach und nach freizugeben, und wie Sie selbst gut damit klarkommen. 

Inhaltsverzeichnis

Eltern stärken. Kinder stärken.

Kinder und Eltern haben ein gemeinsames Ziel: Dass aus dem Kind eines Tages ein verantwortungsvoller, eigenständiger Erwachsener wird, der sein Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen kann. Das muss der Jugendliche aber erst lernen, und zwar indem er

  • immer mehr Eigenverantwortung übernimmt und
  • immer unabhängiger von den Handlungen und Meinungen der Eltern wird.

Von den Eltern unabhängig zu werden, ist ein langwieriger und komplexer Prozess, der schon sehr früh einsetzt. Schon das Kleinkind übt sich darin, eigene Schritte zu gehen und sich als eigenständiges Wesen zu erfahren. Das vermeintliche Paradoxon dabei ist, dass sich ein junger Mensch umso besser lösen kann, je liebevoller er gebunden ist: Weiß sich ein Kind beschützt und umsorgt, kann es mutig in die Welt hinausgehen und irgendwann zum Auftanken wieder nach Hause kommen. Das ist in der Pubertät nicht anders, läuft aber auf einer anderen Ebene ab: Der Jugendliche ist auf seiner Entwicklung zur Autonomie schon ein paar gravierende Stufen weitergekommen. Nun ist es nicht mehr weit zum Erwachsensein.

Autonom werden: Wie Ihr Kind unabhängig wird und wie Sie diesen Prozess unterstützen können

Man unterscheidet in der Entwicklungspsychologie vier Formen von Unabhängigkeit, die der junge Mensch erreichen soll:

1. Emotionale Unabhängigkeit.

Der Jugendliche muss lernen, sich emotional von seinen Eltern abzugrenzen. Je besser ihm das gelingt, umso unabhängiger ist er dann von der Wertschätzung und Anerkennung seiner Eltern. Ein emotional unabhängiger Mensch ist nicht darauf angewiesen, dass andere sein Tun und Lassen „absegnen“, und kann so eigenverantwortliche Entscheidungen treffen.

Sie können Ihr Kind bei diesem Prozess unterstützen, indem Sie ihm eigene Entscheidungen zugestehen und diese auch dann akzeptieren, wenn Sie eventuell anders entschieden hätten. Ein junger Mensch muss auch einmal eine „falsche“ Entscheidung treffen dürfen – er übt ja noch!

2. Funktionelle Unabhängigkeit.

Der Jugendliche muss lernen, seinen Alltag selbst zu regeln, z. B. alleine aufzustehen, sich das Frühstück zu machen, Wäsche zu waschen, Busverbindungen herauszusuchen, Verabredungen zu treffen, sich um Behördenangelegenheiten und Arztbesuche zu kümmern etc.

Sie können Ihr Kind dabei unterstützen, indem Sie ihm immer mehr kleinere Alltagsaufgaben übertragen. Am Anfang mag etwas Unterstützung nötig sein, doch mit der Zeit sollte sich der Jugendliche selbst dafür verantwortlich fühlen. Das geht allerdings nur, wenn Sie auch „riskieren“, dass Ihr Kind sich mal kein Frühstück macht oder einen Arztbesuch verschwitzt, ohne dass Sie gleich wieder „auf der Matte stehen“ und Ihrem Kind aus der Patsche helfen.

3. Wertemäßige Unabhängigkeit.

Jugendliche müssen ein eigenes Wertesystem entwickeln. Dieses wird sich idealerweise zum Teil mit den Werten aus dem Elternhaus decken, aber auch andere Werte integrieren. Ein selbstständiger Erwachsener zeichnet sich dadurch aus, dass er das Wertesystem seiner Eltern differenziert betrachten und sich davon abgrenzen kann. Dazu gehört unbedingt eine „Entidealisierung“ der Eltern: Sie sind jetzt nicht mehr das Maß aller Dinge, sondern ganz normale Menschen mit Stärken und Schwächen. Eltern müssen sich also „entidealisieren“ lassen, wenn sie wollen, dass das Verhältnis zwischen ihnen und dem Kind später auf gleiche Augenhöhe gestellt werden kann.

Sie können Ihr Kind unterstützen, wertemäßig unabhängig zu werden, indem Sie mit ihm über politische, soziale oder andere Themen diskutieren, und es dazu ermuntern, eine eigene Meinung dazu zu entwickeln. Akzeptieren Sie seine Argumentation, auch wenn sie unreif oder wenig ausgefeilt zu sein scheint. Wichtig ist, dass Ihr Kind einen „eigenen Kopf“ entwickelt und Ihnen nicht nur nach dem Mund redet.

4. Konfliktmäßige Unabhängigkeit.

 Jugendliche und junge Erwachsene müssen eventuelle Konflikte mit den Eltern zu lösen bzw. zu überwinden versuchen. Je tiefer diese Konflikte liegen und je gravierender sie sind, desto schwieriger und langwieriger kann dieser Prozess dauern. Besonders schwer zu bearbeiten sind naturgemäß unbewusste Konflikte, die Jugendliche aus Loyalitäts- oder anderen Gründen nicht fühlen dürfen und die sie deshalb dauerhaft unterdrücken müssen. Solche inneren Konflikte kommen oft – wenn überhaupt – erst in späteren Lebensjahren ans Licht.

Sie können Ihrem Kind dabei helfen, konfliktmäßig unabhängig zu werden, indem Sie sich gesprächsbereit zeigen, auch wenn es um heikle und persönliche Themen geht. Stellen Sie sich auch seinen Vorwürfen, und überprüfen Sie diese, bevor Sie sie empört von sich weisen. Je offener Sie auch mit eigenen „Fehlern“ umgehen können, desto besser ist das für Ihr Kind.