Ess-Störungen bei Kindern und Teenagern
Der Grat, auf dem sich viele Jugendliche bewegen, ist schmal: Was ist noch Diät und was schon eine Essstörung? Und an welchen Alarmsignalen erkennen Eltern, dass bei ihrem Kind mit derErnährung etwas nicht stimmt? Ich erkläre Ihnen, worauf Sie achten sollten und wo Sie im Notfall Hilfe bekommen.
Wenn (Nicht-)Essen das Leben Ihres Kindes bestimmt
Rund die Hälfte aller Kinder – zu 90 Prozent Mädchen – zwischen 9 und 13 Jahren findet sich zu dick. Mehr als 30 Prozent dieser Kinder machen eine Diät, obwohl nur wenige das nötig haben. Bei wenigen von ihnen werden von da an die Themen Gewicht, Essen und Hungern eine rigide Regentschaft über ihr Leben übernehmen. Sie sind in eine Essstörung geraten.
Mögliche Gründe, warum fast nur Mädchen von Essstörungen betroffen sind
Jungen kommen ein bis zwei Jahre später in die Pubertät, können vielleicht deshalb die Umbrüche besser verarbeiten und den Herausforderungen besser begegnen.
- Darüber hinaus sind die körperlichen Veränderungen bei Mädchen wesentlich ausgeprägter.
- Doch die Figur ist auch bei Jungen zunehmend ein Thema. Muskeln und Waschbrettbauch sind gefragt. Schätzungsweisejeder Zwölfte mit Essstörungen ist männlichen Geschlechts.
- Was Sie als Eltern tun können, wenn Sie erste Alarmzeichen wahrnehmen? –Vor allem die Kinder vertrauensvoll im Auge behalten.
Essstörung: Das sind erste Anzeichen
1. Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen
Das Mädchen/Der Junge findet sich immer zu dick und lehnt den Körper ab. Sie bzw.er findet sich auch dann zu dick, wenn andere sie oder ihn zu dünn finden. Es besteht eine panische Angst zuzunehmen.
- Bestimmte Körperteile werden sehr abfällig tituliert, wie „Ich hasse meinen fetten Bauch“ oder „Meine schwabbeligen Beine sind ekelhaft …“; sie werden kaschiert und versteckt.
- Die Gedanken kreisen nur ums Essen und um die Figur. Das Mädchen oder der Junge betrachtet sich häufig im Spiegel, wiegt sich oft. Eine bestimmte Kleidergröße musserreicht odereingehalten werden.
- Das Mädchen oder der Junge vergleicht sich häufig mit schlanken Menschen.
2. Verändertes Essverhalten
Gegessen wird nicht mehr spontan, lustvoll und gerne, sondern kontrolliert. Zum Beispiel wird nur zu bestimmten Uhrzeiten oder nur Fett bzw. Kalorienarmes gegessen. Selbst eine gesunde oder eine vegetarische Ernährung wird immer weiter eingeschränkt.
- Lebensmittel werden in „gut“ und „schlecht/gefährlich“ eingeteilt.
- Mahlzeiten werden ausgelassen. Das Mädchen/Der Junge hat häufig Ausreden, um nichts zu essen, zum Beispiel: Sie/Er hat schon gegessen, hat keinen Hunger, hat Bauchschmerzen …
- Das Essverhalten ist chaotisch. Mal wird viel, dann wieder wenig gegessen. Eine Zeit lang ist die Kontrolle sehr stark, dann ist sie überhaupt nicht vorhanden.
- Es fällt ihr/ihm schwer, mit dem Essen aufzuhören. Weder Hunger noch Sättigung kann sie/er spüren.
- Die Streitigkeiten ums Essen nehmen zu. Es wird nichts oder nur wenig gegessen, jeder Bissen viele Male gekaut, winzige Portionen genommen, das Essen auf dem Teller hin und her geschoben, aber nichts gegessen.
- Lebensmittel verschwinden aus dem Kühlschrank.
- Lebensmittel werden im Kinder- oder Jugendzimmer, etwa im Kleiderschrank, gehortet.
- Leere Lebensmittelpackungen liegen regelmäßig herum.
- Das Mädchen oder der Junge kauft gerne ein, liest viel in Kochbüchern oder Rezeptzeitschriften, kocht gerne, isst aber nie mit (und stattdessen vielleicht heimlich).
- Es wird viel Geld für Süßigkeiten ausgegeben.
3. Gewichtsverlust und Untergewicht
- Das Mädchen oder der Junge hat in den letzten drei Monaten mehr als 6 Kilo abgenommen.
- Das Gewicht liegt untereinem Body Mass-Index (siehe Kasten „BMICheck“ unten) von 17,5 (bei Erwachsenen) oder unterhalb der 10. Perzentile (bei Kindern und Jugendlichen). Vergleichen Sie den bei Ihrem Kind errechneten BMI-Wert mit der Perzentilen-Kurve für Jungen und Mädchen.
BMI-Check
Der BMI wird folgendermaßen berechnet: BMI = Körpergewicht (kg) : (Körpergröße (m) x Körpergröße (m)) Beispiel: Ein Mädchen wiegt 28 kg bei einer Körpergröße von 1,25 m. Die Formel lautet: 28 : (1,25 x 1,25) = 17,92
4. Weitere Warnsignale
- Das Mädchen oder der Junge isst häufig bei Frust, Stress, Ärger oder Langeweile, redet aber nicht überseine Gefühle. Sie oder er unterdrückt mit dem Essen die Gefühle und vermeidet dadurch Konflikte. Die Stimmung schwankt stark, und die Reizbarkeit ist hoch.
- Das Mädchen oder der Junge treibt zunehmend mehr Sport, nicht weil es Spaß macht, sondern um abzunehmen. Sie/Er ist nach dem Essen körperlich aktiv oder trainiert zusätzlich zum Vereins- und Schulsport. Es wird zum Beispiel Fahrrad gefahren, gejoggt, egal wie das Wetter ist, beim Fernsehen Gymnastik gemacht etc.
- Das Mädchen oder der Junge zieht sich von seinen Freunden zurück, vernachlässigt Hobbys und ist zunehmend allein.
- Häufige Toilettengänge: Das Klo ist oft verschmutzt, und es riecht nach Erbrochenem. Brechgeräusche sind nicht immer zu hören, sie können durch die Spülung oder die Dusche überdeckt werden.
- Körperliche Veränderungen sind zu sehen. Geschwollene Speicheldrüsen und Verletzungen im Mundwinkelbereich können auf Erbrechen hindeuten. Ständiges Frieren, Kreislaufprobleme, Schwindel, Haarausfall können Warnsignale sein.
- Abführmittel und Mittel zum Abnehmen werden gekauft.
Wichtige Info
Wenn eines oder mehrere der genannten Anzeichen zu beobachten sind, sollten Sie das Verhalten von Fachleuten abklären lassen. Denn die Diagnose „Essstörung“ kann nur eine Ärztin bzw. ein Arzt oder eine approbierte Psychotherapeutin bzw. ein Psychotherapeut stellen.
Was Sie als Eltern tun können, wenn sich die Alarmzeichen häufen
1. Horchen Sie auf, wenn sich Ausflüchte häufen
Wenn sich Ausflüchte häufen („Mir ist nicht gut“, „Ich habeschon bei der Freundin gegessen“, „Ich habe keinen Hunger“), dann ist klar, dass das Kind das gemeinsame Essen vermeiden will. Das muss nicht unbedingt auf eine Magersucht hindeuten – es kann genauso gut auch der Beginn einer Bulimie sein, denn die Erkrankten essen oft bei gemeinsamen Mahlzeiten wie ein Spatz und schlagen sich später heimlich den Bauch voll. Die Übergänge zwischen Bulimie, Binge-Eating-Störung (Essen großer Mengen ohne Kompensation wie Erbrechen, Abführmittel oder Sport) und Magersucht sind fließend: 300 Kalorien heute und morgen 10.000.
2. Machen Sie Ihrem Kind keine Vorwürfe
Wirklich beunruhigend ist eine deutliche Gewichtsabnahme des Kindes. Spätestens dann sollten Sie versuchen, ins Gespräch zu kommen, und behutsam signalisieren, dass Sie die Verhaltensänderungen wahrnehmen. Sagen Sie nicht „Du hast doch Probleme mit dem Essen“, „Du wirst ja immer dürrer“ oder „Gib’s zu, du isst heimlich“, sondern fragen Sie beispielsweise „Uns fällt auf, dass du anders isst als früher: Kannst du dir das erklären?“ Verwenden Sie also Ich-Botschaften und reagieren Sie nicht beleidigt, wenn Sie abgewiesen werden. Besser ist, ein paar Tage verstreichen zu lassen und dann ein neues Gesprächsangebot zu machen.
3. Suchen Sie fachliche Beratung
Selbst wenn Sie Ihr Kind beim Erbrechen ertappen, ist es besser, keinen „Riesenzirkus“ zu machen, sondern immer auf der Vertrauensebene zu agieren. Mit „Das kommt nicht mehr vor!“ oder „Das will ich nichtmehr sehen!“ erreichen Sie nichts. Ebenso wenig mit Strafen, Verboten oder Reglementierung, was und wie viel bei Tisch gegessen werden muss. Bereiten Sie Ihrem Kind auch keine Schuldgefühle(„Was tust du mir an!“), das erhöht den Druck nur noch mehr. Hat sich eine Essstörung erst mal in ein Leben hineingefressen, kommt ein Kind meist nur mit fachlicher Begleitung etwa durch Ärzte oder Psychotherapeuten wieder heraus.
Die häufigsten Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen
1. Magersucht (Anorexia nervosa)
Anorexia nervosa, auch Magersucht genannt, ist eine Essstörung, die durch das krankhafte Bedürfnis gekennzeichnet ist, Gewicht zu vermindern: häufig sogar bis hin zu einer lebensbedrohlichen Unterernährung oder anderen schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen. Magersucht hat die höchste Sterblichkeitsrate von allen psychischen Erkrankungen. Dieses Störungsbild betrifft vor allem junge Mädchen und Frauen, immer häufiger leiden aber auch Jungen und Männer darunter.
2. Bulimie (Bulimia nervosa)
Bulimia nervosa, auch Ess-Brech-Sucht genannt, ist eine Essstörung, bei der die Betroffenen ein unkontrolliertes Verlangen nach Essen haben und anschließend gewichtsreduzierende Maßnahmen durchführen. Überwiegend wird diese Erkrankung bei Frauen diagnostiziert.
3. Essattacken mit Kontrollverlust (Binge-Eating-Störung)
Binge-Eating-Störung, auch Essattacken mit Kontrollverlust genannt, ist eine Essstörung, die durch wiederkehrende Essanfälle gekennzeichnet ist, allerdings werden keine gewichtsreduzierenden Maßnahmen vollzogen. Aufgrund der Fressattacken neigen die Betroffenen häufig zu Übergewicht.