Lümmeln, chillen, gar nichts tun: Wie viel „Faulheit“ ist okay?
Wenn Kinder in die Pubertät kommen, ist es mit der fleißigen Geschäftigkeit oft vorbei. Viele Teenager „chillen“ dann gerne, mit anderen Worten: Sie hängen rum und tun nichts. Jedenfalls ist das der Eindruck, den Erwachsene von diesem Verhalten gewinnen. In der Tat ist der berühmte Sitzsack zum Sinnbild für die Passivität, Trägheit und Bequemlichkeit von Teenagern geworden. Doch sind Teenager wirklich so faul, wie es aussieht? Und, wenn ja, was sollte man dagegen tun? Lesen Sie in diesem Beitrag, warum Chillen mehr ist als nur Schlappheit, warum Faulenzen durchaus eine wichtige Funktion erfüllt, und wie Sie handeln sollten, wenn Ihr Kind nicht nur rum-,sondern wirklich durchhängt.
Persönlichkeitsentwicklung
„Marvin hat zu nix Bock mehr. Dauernd hängt er nur auf seinem Bett rum, hört Musik und will ansonsten seine Ruhe haben. Vor ein paar Monaten noch war er aktiv und fröhlich, jetzt hat er nur noch schlechte Laune. Aufräumen? Fehlanzeige! Fußball? Keine Lust mehr. Schule? Alles lästig! Was ist bloß los mit ihm? Ist das noch normal, oder muss ich mir Sorgen machen?“ Marvins Mutter ist irritiert. Die Frage, die sie sich jetzt stellt, stellen sich viele andere Mütter ebenfalls. Und sie überlegen auch, was sie nun tun sollen. Den Teenager in Ruhe lassen? Oder ihn antreiben, endlich mal etwas „Vernünftiges“ zu tun? Oder mal so, mal so? So ganz einfach ist die Antwort darauf natürlich nicht. Denn das Lümmeln und Chillen kann ganz unterschiedliche Ursachen haben und Ausmaße annehmen. Insofern muss man zur Einschätzung ganz genau anschauen, wie sich das Kind verhält, was seine Motivationen sind und vieles mehr. Ein Allheilmittel gibt es hier also leider nicht. Prinzipiell sollten Sie jedoch folgende Aspekte berücksichtigen:
5 Tipps für den Umgang mit einem „Sitzsack-Teenager“
1. Sehen Sie die Veränderungen Ihres Kindes nicht ausschließlich negativ.
Was also könnte das Gute an dem „faulen“ oder „gechillten“ Verhalten Ihres Kindes sein? Zum Beispiel könnte es sein, dass sich Ihr Kind damit Auszeiten nimmt, die es zum Regenerieren und zur Erholung braucht. Der Teenagerkörper macht immerhin sehr viele Veränderungen durch, dafür braucht er Energie. Oder der Teenager zieht sich von der Außenwelt zurück, um sich über sich selbst klar zu werden oder um sich zu schonen – oft ist das ein unbewusster Mechanismus, der einsetzt, wenn einem etwas zu viel wird.
2. Überlegen Sie sich, was die Ursachen für das Lümmeln und Chillen sein könnten.
- Findet Ihr Kind das einfach lässig und cool? Fehlt es ihm zurzeit an Kraft und Energie? Oder möchte es Sie damit provozieren? Prüfen Sie, wie es Ihrem Kind geht:
- Macht es einen sehr deprimierten oder frustrierten Eindruck?
- Mangelt es Ihrem Kind gerade an Lebensfreude oder Erfolgserlebnissen?
- Hat es ein straffes Programm und/oder viel Stress in der Schule, und braucht so viele Auszeiten, um sich nicht zu überfordern?
- Weiß es gerade nicht so recht, was es auf der Welt soll?
- Hat es Probleme mit Freunden oder Freundinnen?
- Hat es Schlafprobleme, Alpträume oder ein chronisches Schlafdefizit?
- Hat es Kummer und Sorgen?
All das kann zu innerem Rückzug und Passivität führen.
3. Lassen Sie mögliche körperliche Ursachen abklären, wenn Ihr Kind Ihnen besonders müde und schlapp vorkommt.
Besonders bei Mädchen, die bereits ihre Periode haben, kann ein Eisenmangel bestehen. Dieser macht antriebslos, müde und blass. Zu wenig Vitamin B oder D kann ähnliche Folgen haben. Ebenso sollten Sie an eine mögliche Schilddrüsenunterfunktion denken.
4. Werfen Sie auch einen Blick auf die Funktion des veränderten Verhaltens.
Was löst der Teenager durch sein betont chilliges Verhalten bei Ihnen und in der Familie aus? Was genau verändert sich im Familienleben? (Beispiel: Der Teenager zieht sich oft zurück und/oder verbringt mehr Zeit mit Freunden. Dadurch haben die Eltern wieder mehr Zeit für sich und/oder das jüngere Geschwisterkind bekommt mehr Aufmerksamkeit.) Welche positiven Aspekte könnte das haben (der Teenager bekommt mehr Freiraum, mehr Bezug zur Außenwelt; das Geschwisterkind kann sich mehr entfalten, die Eltern finden wieder mehr zueinander etc.)?
5. Bringen Sie Geduld für den Teenager auf.
Selbst wenn Sie Ihr Kind nicht immer verstehen und sein Verhalten nicht so richtig einordnen können: Gehen Sie zunächst immer davon aus, dass es etwas tut, weil es das für seine Entwicklung benötigt, und nicht in erster Linie, um Sie zu ärgern oder zu provozieren. Allerdings braucht es jetzt mehr Abstand und Freiraum. Wenn es den nicht bekommt, holt es sich beides, indem es Sie vor den Kopf stößt und sich abweisend verhält.
Faulheit oder Muße? Warum Nichtstun manchmal wichtig ist
Nichtstun hat in unserer Gesellschaft keinen guten Ruf. Bei uns gelten Fleiß und Ehrgeiz als wichtige Tugenden, die uns für ein erfolgreiches Leben unerlässlich erscheinen. Und natürlich müssen wir ja auch ein gewisses Maß an Initiative und Antrieb aufbringen, um unseren Alltag zu regeln, die Schule zu schaffen sowie später einen Beruf zu erlernen und auszuüben. Doch vielen Eltern scheint es heutzutage auch wichtig, dass ihre Kinder ein oder zwei Hobbys haben, regelmäßig Freunde treffen und möglichst noch ein Instrument erlernen. Die Folge davon ist oft ein (zu) voller Terminkalender und (zu) wenig Zeit für Regeneration und zur freien Verfügung. Doch besonders für Teenager ist es wichtig, dass sie in einem gewissen Maß über die Gestaltung ihres Lebens und ihrer Zeit selbst bestimmen können – denn Selbstbestimmung ist es, was sie jetzt mehr denn je anstreben. Weder Sie als Eltern noch der Terminkalender soll ihnen vorschreiben, was sie zu tun haben. Sie wollen das möglichst oft selbst entscheiden. Und wenn sie dann nichts tun, ist das zwar – von außen betrachtet – nicht besonders viel, es basiert aber wenigstens auf ihrer eigenen Entscheidung.
Folgerichtig ist es dann manchmal für den Teenager wichtiger, gemütlich auf dem Sitzsack herumzuhängen, statt etwas (vermeintlich) Sinnvolles zu tun, wie etwa Geige zu üben oder für die nächste Klassenarbeit zu lernen. Natürlich gehen manche „faule“ Kinder auch unangenehmen Aufgaben aus dem Weg, vor allem wenn sie Frustration fürchten oder keinen tieferen Sinn in diesen Aufgaben erkennen können. In diesem Fall müssen Eltern sehr genau abwägen, ob und wie Sie tätig werden müssen. Wenig hilfreich ist es dann, dem Teenager Vorwürfe zu machen. Wenn Sie mit Sätzen wie „Nun lass dich doch nicht so hängen!“ oder gar „Du bist so faul!“ einen Streit vom Zaun brechen, wird Ihr Teenager das als Beleidigung erleben und entweder kontern oder sich noch mehr zurückziehen. Fragen Sie ihn lieber, wie Sie ihm helfen könnten, die anstehenden Aufgaben zu meistern.
Übrigens: Besonders ausfamiliendynamischer Perspektive ist die pubertäre Bequemlichkeit ein interessantes Phänomen.
Manchmal gleichen Teenager durch ihr Nichtstun nämlich auch die hektische Geschäftigkeit ihrer Eltern aus. Sie sorgen so für eine innerfamiliäre Balance oder versuchen es zumindest.