von S. H.
Liebe Frau Dr. Schmelz,
ich lege großen Wert darauf, unseren Sohn (knapp drei Jahre alt) mit viel Einfühlungsvermögen zu erziehen. Leider hat er momentan regelrechte Schrei- und Heulanfälle, die bis zu 30 Minutendauern können. Er sagt dann zu ALLEM „Nein!“,weint herzzerreißend und ist vollkommen außer sich. Mein Mann und ich sind ratlos und uneinig, was wir dann tun sollen. Während mein Mann der Meinung ist, unser Sohn setze die Tränen „strategisch“ ein, um seinen Willen zu bekommen, habe ich den Eindruck, er weiß in diesen Momenten selbst nicht, was er will und ihm ist alles zu viel. Hier ein Beispiel von heute Nachmittag: Nachdem unser Sohn schon quengelig aufgewacht war, gestalteten sich dasWickeln und das Umziehen schwierig. Mit der Aussicht auf Kuchen beruhigte er sich schließlich. Doch als ich ihm beim Essen mit der Kuchengabel helfen wollte und ein Stück abtrennte, fing er wieder an, bitterlich zu weinen. „Mama, den Kuchen wieder dranmachen!!!“ Davon beruhigte er sich lange Zeit nicht. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, ihm Verständnis entgegenzubringen, ein neues Stück zu bringen, ihm zu erklären, dass ich das Stück nicht wieder dranmachen kann usw. Mein Mann dagegen wollte ihm schon den Teller wegnehmen. Nach diesem verkorksten Nachmittag verzichteten wir auf die geplante Radtour, und ich saß mit unserem Sohn im Sandkasten. Das ist ihm aber ohnehin am liebsten. Meinen Sie, er ist vielleicht doch so berechnend, wie mein Mann meint, und wollte genau das erreichen?
Ich danke Ihnen schon jetzt für Ihre Antwort.
Viele Grüße
S. H.
Antwort von: Dr. med. Andrea Schmelz
Liebe Frau H.,
Kinder in der Trotzphase können sehr, sehr anstrengend sein. Sie machen es absolut richtig, wenn Sie versuchen, die Wünsche Ihres Sohnes so gut wie möglich zu berücksichtigen. Um Trotzanfällen vorzubeugen, können Sie versuchen, mit Alternativfragen zu arbeiten. Um bei dem von Ihnen beschriebenen Beispiel mit dem Kuchenstück zu bleiben, könnten Sie etwa fragen: „Soll ich dir helfen, den Kuchen kleinzumachen, oder willst du das selber tun?“ Wenn das abgetrennte Kuchenstück wiederdran soll, können Sie ihm ein frisches Kuchenstück anbieten (wie Sie das ja gemacht haben) oder das abgetrennte Stückeinfach wieder dran schieben und fragen, welche der beiden Varianten er haben möchte. Sie haben Recht mit Ihrer Einschätzung, dass Ihr Sohn im Trotzanfall einfach mit sich und der Welt nicht im Reinen ist. Bitte einigen Sie sich mit Ihrem Mann (ohne Ihren Sohn!) auf eine Linie, und versuchen Sie bei Ihrem Mann mehr Verständnis für den Sohn zu wecken. In den allermeisten Fällen steckt hinter einem Trotzanfall keine Berechnung! Dass Ihr Sohn mit seinem Verhalten am Nachmittag absichtlich einen Streit vom Zaun gebrochen hat, damit Sie nicht Radfahren und er im Sandkasten spielen kann, ist auszuschließen – so weit kann so ein kleiner Kerl noch nicht kombinieren! Da geht es immer nur um Dinge im betreffenden Augenblick. Wenn Sie Ihrem Sohn etwas verbieten, und er trotzt, weil er seinen Kopf nicht durchsetzen kann, dann sollten Sie anerkennen, dass er jetzt frustriert ist, weil er gerade eben nicht so kann, wie er will. Sie sollten in der Sache selbst jedoch trotzdem konsequent bleiben.
Herzliche Grüße
Ihre Andrea Schmelz