So machen Sie Ihr Kind stark gegen Übergriffe

Mut und Selbstvertrauen sind ein natürlicher Schutzschild gegen Übergriffe aller Art. Nicht zuletzt deshalb wünschen sich wohl alle Eltern starke und selbstbewusste Kinder. Erfahren Sie hier, was Sie von Anfang an bei der Erziehung dafür tun können, die Sicherheit für Ihre Kinder zu erhöhen.  

Inhaltsverzeichnis

Sicherheit für Kinder

Laut polizeilicher Kriminalstatistik werden in Deutschland jährlich etwa 20.000 Kinder Opfer sexueller Gewalt – eine erschreckende Zahl und ein Albtraum für Eltern! Mit zunehmendem Alter nimmt auch die Selbstständigkeit Ihres Kindes zu. Sie können es nicht mehr rund um die Uhr behüten, denn das würde seine Entwicklung bremsen. Glücklicherweise können Sie von Anfang an vorbeugen: Starke Kinder werden seltener Opfer von Gewalt und Missbrauch!

Sicherheit für Kinder: Diese Grundsätze helfen Ihrem Kind, stark zu werden

Besprechen Sie mit Ihrem Kind (ab drei bis vier Jahren) die folgenden vier Regeln und ermutigen Sie es immer wieder, sich daran zu halten:

  1. Dein Körper gehört dir! Wenn eine Berührung für dich unangenehm oder komisch ist, dann darfst du „Nein“ sagen. Niemand hat das Recht, dich gegen deinen Willen anzufassen, von dir Berührungen zu verlangen, die du nicht magst, dich auf den Schoß zu nehmen, dich zu umarmen oder abzuküssen – und das gilt auch für Verwandte, die mit Begeisterung über das Kind herfallen und es vor Liebe schier erdrücken. Wichtig: Akzeptieren Sie als Eltern die Grenzen Ihres Kindes, wenn es „Nein“ oder „Das will ich nicht!“ sagt!
  2. Trau deinem Gefühl! Wenn dir jemand schlechte Gefühle bereitet, dann darfst du dich wehren. Es gibt gute und schlechte Geheimnisse! Schlechte Geheimnisse werden dir aufgezwungen und sind eigentlich gar keine Geheimnisse. Du darfst sie mir ohne weiteres verraten, es wird nichts Schlimmes passieren!
  3. Du darfst „Nein“ sagen! Erwachsene oder auch ältere Kinder verlangen von Kindern manchmal etwas, was diesen Angst macht, ihnen weh tut oder ganz komische Gefühle verursacht. Dann darfst du „Nein“ sagen und brauchst nicht zu tun, was sie von dir erwarten. Notfalls, wenn Worte nichts nützen, darfst du dich auch tatkräftig wehren (schreien, treten, beißen).
  4. Du darfst dir Hilfe holen! Manchmal ist es zu schwer, sich ganz alleine zu wehren. Dann kannst du jederzeit zu mir kommen und mich um Hilfe bitten.

Gute und schlechte Geheimnisse

Kinder lieben Geheimnisse, und das ist unter besten Freunden auch gut so. Deshalb ist es wichtig, Ihrem Kind den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Geheimnis deutlich zu machen. Gute Geheimnisse machen Freude, schlechte Geheimnisse verursachen ein „komisches“ Gefühl und/oder machen Angst!

Wenn Jugendliche oder Erwachsene ein Kind bedrängen oder mit ihm etwas machen, was ihm nicht gefällt, wollen sie sicherstellen, dass dies nicht ans Licht kommt. Durch Drohungen oder Liebesentzug lassen sich Kinder leicht unterdrücken, sodass sie aus Angst mehr hinnehmen, als gut für sie ist. Das ist bei einem Täter aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis besonders fatal! Oft werden den kleinen Opfern auch Geschenke versprochen, oder das Ganze wird als besonderes „Geheimnis“ deklariert, das nicht weitererzählt werden darf. Häufig werden die Kinder mit schrecklichen Drohungen eingeschüchtert, etwa dass Mama oder Papa krank werden oder sterben, wenn das Kind das „Geheimnis“ ausplaudert. Ermuntern Sie Ihr Kind immer wieder, zu Ihnen zu kommen, wenn es etwas bedrückt oder es sich schlecht fühlt. Betonen Sie, dass es schlechte Geheimnisse weitererzählen darf – nein, sogar muss, ohne dass dies gepetzt wäre. Versprechen Sie ihm, dass es sich nicht vor Strafe fürchten muss, auch wenn es zunächst vielleicht glaubt, selbst an etwas schuld zu sein oder etwas falsch gemacht zu haben. Sammeln Sie mit Ihrem Kind Beispiele für gute und schlechte Geheimnisse: Woran kann Ihr Kind solche schlechten Geheimnisse erkennen? Warum sind sie schlecht? Was können Sie zusammen dagegen tun?

So können Sie zusammen über Gewalt und Missbrauch sprechen

Ihr Kind sollte wissen, dass es jederzeit auf Sie vertrauen kann und dass Sie ihm glauben, wenn es von seinen Problemen erzählt, wie auch immer sie geartet sind. Dann wird es genug Selbstvertrauen haben, um sich auf sein Gefühl zu verlassen, ob ihm etwas angenehm oder unangenehm ist. Es wird sich dann eher trauen, nein zu sagen, wenn es sich unbehaglich fühlt. Eine sehr gute Hilfe, um mit Ihrem Kind über das Thema Gewalt, Missbrauch, Selbstvertrauen und Selbstbestimmung zu sprechen, sind die folgenden Bücher:

Bücher, die die Themen Selbstbestimmung und Vorbeugung von Gewalt und Missbrauch kindgerecht aufgreifen:

Bitte sehen Sie sich die vorgeschlagenen Bücher (geeignet ab vier bis fünf Jahren) unbedingt selbst an, bevor Sie eines für Ihr Kind kaufen. Gerade bei diesem sensiblen Thema müssen Sie als Eltern ganz individuell entscheiden, welches Buch für Ihr Kind das richtige ist. Ich habe Ihnen hier nur einige Bücher zusammengestellt, die mir persönlich gut gefallen und die ich für besonders empfehlenswert halte.

  • „Das große und das kleine NEIN“ von G. Braun und D. Wolters (Verlag an der Ruhr 1991; 20 Seiten; 6,60 €)
  • „Ich bin doch keine Zuckermaus“ von S. Blattmann und G. Hansen inklusive 50-minütiger Audio-CD mit Liedern (Mebes & Noack 1994; 40 Seiten; 21,50 €)
  • „Kein Küsschen auf Kommando!“ von Marion Mebes (Mebes & Noack 2002; 24 Seiten; 6,90 €)
  • „Kim kann stark sein“ von E. Zöller und D. Geisler mit Informations- und Beratungsadressen (Loewe 2005; 30 Seiten; 10,90 €)
  • „Mein Körper gehört mir!“ von Pro Familia (Loewe 2002; 36 Seiten; 7,90 €)
  • „Schön & blöd. Ein Bilderbuch über schöne und blöde Gefühle“ von U. Enders und D. Wolters (Beltz und Gelberg 1999; 36 Seiten; 13,00 €)

Sicherheit für Kinder durch gestärktes Selbstvertrauen

Kinder erwerben ein gesundes Selbstvertrauen, indem sie sich von Anfang an auf ihre Eltern verlassen können und dadurch lernen, sich selber zu trauen. Dabei sind es meist nicht die großen Dinge, sondern die alltäglichen Vertrauensbeweise und die vielen kleinen Gesten jeden Tag, die Ihrem Kind vermitteln: Meine Eltern nehmen mich ernst, sie vertrauen mir und trauen mir etwas zu. Die folgenden Tipps sind ab drei Jahren sinnvoll, wobei Sie mit einigen gar nicht früh genug anfangen können – etwa Ihr Kind nicht auszulachen.

  • Zeigen Sie Vertrauen zu Ihrem Kind, indem Sie es nicht übermäßig behüten und ihm altersgemäße Freiräume gewähren.
  • Konzentrieren Sie sich auf die Erfolge Ihres Kindes. Fehler hingegen sind eine gute Gelegenheit, daraus zu lernen. Hat Ihr Kind etwas besonders gut hinbekommen, sollten Sie ruhig einmal laut „Bravo!“ rufen oder applaudieren.
Mein Tipp: Führen Sie ein „Kinderbuch“
Das ist ein Büchlein, in dem Sie all die großen und kleinen Erfolge Ihres Kindes festhalten, z. B. seine ersten Krabbel- oder Gehversuche oder die schönsten Stilblüten. Das „Kinderbuch“ ist eine einfache, aber wirksame Methode zur Förderung der Selbstachtung. Auch als positive Erziehungshilfe im Sinne von „Oh, das hast du ja prima gemacht, das schreiben wir gleich in dein Kinderbuch …“ ist es gut geeignet.
  • Stärken Sie die Fähigkeit Ihres Kindes, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, indem Sie es z. B. im Lokal sein Essen selbst bestellen oder im Laden ein kaputtes Spielzeug selbst umtauschen lassen. Fördern heißt auch fordern. Geben Sie nicht zu schnell auf, wenn Ihr Kind sich etwas nicht traut. Sprechen Sie Ihre Überzeugung aus, dass Sie Ihrem Kind bestimmte Dinge, an die es sich nicht heranwagt, zutrauen (sofern das zutrifft – bitte ehrlich bleiben!).
  • Denken Sie daran, dass Sie Vorbild sind. Je mutiger Sie sich selbst bei Ungerechtigkeiten auf dem Spielplatz oder bei anderen Gelegenheiten zeigen, umso eher wird auch Ihr Kind den Mut finden, sich zu wehren.
  • Verzichten Sie auf veraltete Geschlechtsrollenklischees. Auch Mädchen dürfen selbstbewusst sein, aufmucken und sich schmutzig machen. So geraten sie nicht immer wieder in die Opferrolle. Dafür dürfen Jungs Gefühle und Schmerz zeigen sowie um Hilfe bitten!
  • Sagen Sie zu Ihrem Kind ab und zu die Zauberworte: „Ich vertraue dir!“ Sie können kleine Wunder bewirken.
  • Vermeiden Sie jegliche Form von Ironie oder Sarkasmus. Kinder können damit noch nicht umgehen. Hat Ihr Kind etwas verschüttet, wird es nur mit Verwirrung reagieren, wenn Sie zu ihm sagen: „Na, das hast du aber mal wieder fein gemacht!“
  • Lachen Sie Ihr Kind nicht aus, wenn es etwas falsch gemacht hat. Es könnte ein Leben lang darunter leiden.
  • Lassen Sie Ihr Kind bei allen Familienangelegenheiten, die es betreffen, mitentscheiden. Alle sollten gehört werden, und die Einwände Ihres Kindes sollten genauso ernst genommen werden wie Ihre eigenen. So fühlt es sich angenommen und akzeptiert.
  • Nehmen Sie die Meinung Ihres Kindes ernst, auch wenn Sie anderer Auffassung sind. Sätze, die mit „Findest du nicht auch …?“ beginnen, sind ein guter Ansatz, um miteinander im Gespräch zu bleiben.
Mein Tipp: Heute ist „Nein-Tag“
Vereinbaren Sie mit Ihrem Kind (ab drei Jahren) einen Tag, an dem es zu allem „nein“ sagen darf, was ihm nicht gefällt. Sprechen Sie gemeinsam darüber, weshalb ihm etwas nicht gefällt oder warum es  etwas nicht tun möchte. Das hilft ihm zu unterscheiden, wann sein Nein respektiert werden muss, und wann es sich über bestehende Grenzen nicht hinwegsetzen darf.
  • Sprechen Sie über Gefühle und akzeptieren Sie die Gefühle Ihres Kindes. Akzeptieren Sie z. B., dass Ihr Kind satt ist oder dass es sich wirklich weh getan hat und deshalb weint. Wenn Sie ihm nämlich mit einem „Nun heul nicht, das kann gar nicht so weh getan haben!“ seinen Schmerz ausreden wollen, vermitteln Sie ihm damit, dass seine Gefühle nicht ernst genommen werden, dass sie nicht wichtig oder nicht richtig sind. Dadurch kann Ihr Kind mit der Zeit den Kontakt zu den eigenen Gefühlen verlieren. Irgendwann verstummt es, weil es glaubt, „Erwachsene wissen besser als ich, was für mich gut ist.“ Ein idealer Nährboden für Übergriffe! Schwieriger ist natürlich, wenn Ihr Kind richtig wütend ist. Aber auch hier gilt es, die Wut als solche zu akzeptieren und sie dem Kind nicht als unangemessen auszureden. Was nicht bedeutet, dass Ihr Kind seine Forderung in jedem Fall durchsetzen soll, aber: Es darf wütend sein!

Informationen im Internetzu den Themen Gewalt gegen Kinder, sexueller Missbrauch, gewaltlose Erziehung und Präventionsmaßnahmen finden Sie z. B. unter folgenden Webadressen: www.faustlos.de; www.hinsehen-handeln-helfen.de; www.kinderschutzbund.de; www.papilio.de; www.sicher-stark.de

Zum Weiterlesen: „Das Stark mach Buch“ von Sylvia Schneider (Christophorus 2002; 72 Seiten; 14,90 ), „Wie man Kinder von Anfang an stark macht“ von Gabriele Haug-Schnabel und Barbara Schmid-Steinbrunner (Oberstebrink 2002; 256 Seiten; 17,80 ); „Selbstbewusst und rücksichtsvoll“ von Christine Kügerl (Herder 2004; 160 Seiten; 8,90 ); „Faustlos – das Buch für Eltern und Erziehende“ von Manfred Cierpka (Herder 2005; 160 Seiten; 9,90 €)