So gehen Eltern am besten mit Ängsten Pubertierender um
Welche Ängste sind normal, welche krankhaft?
Sie wisse nicht, was mit ihrer 13-jährigen Jasmin wäre, erzählt die Mutter: „Die war ein selbstbewusstes, eigenständiges Kind, ging auf Menschen zu, spielte im Schülertheater. Aber seit meine Tochter elf ist, als sie sich körperlich veränderte, da war mit einem Mal alles anders!“ Sie habe nun Angst vor Referaten, obgleich sie rhetorisch ausgezeichnet ist, sie habe Angst vor Klassenarbeiten, wirke unsicher, habe ständig das Gefühl, sich zu blamieren.
„Unsere Clara“, so erzählt ihr Vater, „hat sich auch komplett verändert. Das war so um den zwölften Geburtstag herum. Davor war sie ziemlich extrovertiert.“ Er denkt nach: „Ganz augenfällig war es beim Umgang mit den Tieren.“ Er schüttelt den Kopf: „Und nun hat sie Angst vor Tieren, nicht vor den großen!“ Er grinst: „Vor den ganz kleinen. Je kleiner, desto hysterischer reagiert sie, vor Spinnen im Keller, vor Würmern, vor jeglichem kleinen Getier. Dann kann sie richtig ausflippen, die kriegt sich kaum noch ein, wenn sie die sieht.“
„Unser Ron, 14 Jahre alt“, so berichten es seine Eltern, „hat regelrechte Panikattacken“, die kämen „von jetzt auf gleich, ohne Vorwarnung, so wie früher bei seinen Trotzanfällen“. Der habe dann keine Kontrolle über sich, stehe völlig neben sich, zittere am ganzen Körper: „Und wenn man dann etwas sagt, flippt er völlig aus, schlägt wild um sich und stößt üble Verwünschungen aus. Wir sind alle mit solchen Situationen komplett überfordert.“
„Bei Jannis ist es etwas anders“, so seine Mutter. „Der dreht nicht durch, der zieht sich in sein Zimmer zurück, will zu niemandem Kontakt.“ Schon das gemeinsame Mittagessen oder das abendliche Beisammensein, das wäre „eine einzige Tortur für ihn. Der hockt da, stopft sein Essen in sich rein, ist froh, dass er fertig ist, und verschwindet dann in seinem Zimmer“.
Ängste als Ausdruck von Gefühlen in der Pubertät
Die Pubertät ist eine Zeit heftiger Gefühle: Man ist kein Kind mehr, aber eben auch noch kein Erwachsener, man ist weder Fisch noch Fleisch. Das alles macht Angst, lässt Unsicherheit entstehen, was zunächst nicht ungewöhnlich ist. Grundsätzlich lassen sich im pubertären Entwicklungsverlauf jedoch zwei Angstformen voneinander abgrenzen:
Da sind zunächst die ganz normalen entwicklungsbedingten Ängste. Dazu gehören Trennungsängste und auch das „Fremdeln“. Pubertierende, die diese Ängste zeigen, ziehen sich – wie etwa Jannis – zurück, nehmen nur schwer Kontakt zur Umwelt auf. Sie wollen allein sein, wollen mit niemandem etwas zu tun haben.
Sie isolieren sich, wollen Einsamkeit und genießen die auch. Es fällt auf, dass Heranwachsende diese selbst gewählte Distanz dann aufgeben, wenn sie sich und ihren Körper akzeptieren können, genügend Selbstwertgefühl entwickelt haben, den Blicken der anderen, meist Erwachsenen, standzuhalten, wenn sie wissen, wer sie sind – eben kein Kind mehr, sondern selbst ein Erwachsener.
Zugleich geht das „Fremdeln“ aber auch mit einer Trennungsangst einher. Den Rückzug in das eigene Zimmer halten sie häufig nur dann aus, wenn sie um den Halt durch vertraute Bezugspersonen wissen, wenn sie sich sicher sind, dass diese in der Nähe sind. Trennungsängste lösen sich meist mit dem Ende der Pubertät auf. Bis dahin bleibt es für Sie als Eltern eine Herausforderung, mit diesen Ängsten richtig umzugehen. Folgende „Verhaltensweisen“ können Ihnen dabei helfen:
- Hören Sie Ihrem Kind zu. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben, aber halten Sie sich sonst mit Meinungsäußerungen und Beurteilungen zurück.
- Nehmen Sie die Gefühle Ihres Kindes ernst. Sätze wie: „Jetzt denk doch mal an was anderes“ oder „Das wird schon wieder“ helfen Ihrem Kind nicht, weil sie seine Gefühle bagatellisieren.
- Geben Sie Halt und Geborgenheit. Ihr Kind muss durch diese Phase hindurch. Das gelingt ihm umso besser, je mehr es sich auf Sie in dieser Zeit verlassen kann.
Problematische Ängste in der Pubertät
Anders als bei den eher harmlosen entwicklungsbedingten Ängsten, ist es bei den Angststörungen und Phobien: seien es nun spezifische wie die Tierphobie von Clara oder verschiedene soziale Störungen. Sie treten erstmals im Jugendalter auf, machen den Pubertierenden wie die Eltern gleichermaßen hilflos.
Plötzlich hat man wie Jasmin Angst vor Prüfungen, vor anderen Menschen – und seien sie noch so vertraut –, mit einem Mal will man sich nicht blamieren. Sätze wie „Es ist doch alles nicht so schlimm!“ oder „Das schaffst du doch!“ nehmen die soziale Ängstlichkeit nicht ernst, verstärken sie sogar. Ähnliches gilt für die Panikattacken, die einen Heranwachsenden wie Ron urplötzlich ergreifen können und durch Schwitzen, Zittern, durch Atemnot und Ohnmachtsgefühle, durch Angst vor Kontrollverlust gekennzeichnet sind.
Solche Panikattacken sind meist nicht Ausdruck von Erziehungsfehlern: In ihnen drücken sich vielmehr heftige Gefühle aus, die mit der körperlichen und psychischen Veränderung in der Pubertät einhergehen.
Mein Rat: Holen Sie sich fachkundige Hilfe,wenn Ihr Kind in der Pubertät unter Angststörungen leidet!
Entwicklungsbedingte Ängste verschwinden irgendwann, wenn auch nicht so schnell, wie sie gekommen sind. Falls Sie hingegen bei Ihrem Kind echte Angststörungen beobachten, sollten Sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Vor allem dann, wenn sich die Angststörung Ihres Kindes verselbstständigt, immer stärker situationsunangemessen aufbaut und mit Vermeidungsstrategien einhergeht, ist der Gang zu einem therapeutischen Experten der einzige richtige Weg.