Lesen lernen und verstehen: So trainieren Sie das Textverständnis

Lesen lernen ist für viele Kinder ein mühsamer und langwieriger Prozess, der nicht immer von Erfolgserlebnissen begleitet ist. Auch wenn Ihr Kind alle Buchstaben erkennt, die Silben zusammenziehen kann und Wörter relativ flüssig entziffert, ist das Leseziel noch nicht erreicht. Der gelesene Text muss auch verstanden werden, Ihr Kind soll ihn hinterfragen und damit arbeiten können. Wie Sie erreichen, dass Ihr Kind die Kompetenz des sinnentnehmenden Lesens spielerisch erreicht, zeigen wir Ihnen hier. 

Inhaltsverzeichnis

Textverständnis fördern

Es gibt keinen Zaubertrick, der leseschwachen Kindern dabei hilft, zum Superleser zu werden und selbst den Sinn aus Texten schnell zu erfassen. Mit Geduld, Übung und einigen Faustregeln kann jedoch jedes Kind lernen, kurze und längere Texte bewusst zu lesen sowie die jeweiligen Inhalte zu verstehen. Wichtig ist es zu erkennen, wo die Schwierigkeiten eines Kindes beim Textverständnis liegen. Desinteresse, Konzentrationsschwierigkeiten oder echtes Unvermögen können die Ursachen sein. Jedes Mal ist eine andere Unterstützung notwendig, um das Problem zu beheben. So finden Sie heraus, was Ihrem Kind Schwierigkeiten bereitet:

Ihr Kind versteht nicht, was es liest. Wie zeigt sich das?

Problem A: Problem B: Problem C:
Ihr Kind liest recht flüssig, kann das Gelesene aber nicht wiedergeben. Ihr Kind hört nach wenigen Wörtern mit dem Lesen wieder auf. Es muss ständig dazu angehalten werden,weiterzulesen. Ihr Kind hat Probleme,die Silben oder Wörter richtig zu entziffern. Es liest langsam und stockend.
Problem: Ihr Kind setzt Buchstaben mechanisch zu Wörtern zusammen, es macht sich den Inhalt nicht klar. Ihr Kind ist desinteressiert. Es hat keine Strategie, um das Gelesene sinnvoll zu verarbeiten. Problem: Ihr Kind ist sehr leicht ablenkbar und daher unkonzentriert. Durch die ständigen Lesepausen verliert es den Überblick. Problem: Ihr Kind beherrscht die Lesetechnik noch nicht. Das Entziffern fordert so viel Konzentration, dass für das Erfassen des Inhalts keine Energie mehr da ist.
Lösung:

Wecken Sie das Interesse Ihres Kindes am Text, finden Sie einen Bezug zu seinem Alltag oder seinen Erfahrungen. Machen Sie nach jedem Satz oder Absatz eine Pause und lassen Sie Ihr Kind den Text mit eigenen Worten wiedergeben.
Lösung:

Fördern Sie generell die Konzentration Ihres Kindes, eventuell mit einem Hobby (siehe auch Titelbeitrag) oder einem Training. Geduld! Schalten Sie störende Reize aus, soweit es möglich ist. Gehen Sie auf Ablenkungsmanöver Ihres Kindes nicht ein (Hunger, Durst, Toilette), sondern halten Sie die Lesesituation so lange wie möglich aufrecht.
Lösung:

Wählen Sie leichtere Texte zum Üben, vielleicht aus einer niedrigeren Klassenstufe. Auch Bücher mit vielen Bildern motivieren Ihr Kind zum Lesen. Lesen Sie gemeinsam jeden Tag, bis Ihr Kind sicherer ist und schneller wird.

Bei Problem A (Textverständnis) hilft folgende Lesestrategie

Wenn Ihrem Kind eine Strategie fehlt, den Sinn von Texten zu erfassen, hilft ihm die folgende Anweisung. Gehen Sie die Punkte anfangs gemeinsam durch. Nehmen Sie sich Zeit, um die Strategie einzuüben. Wenn Ihr Kind sich einen Text nach diesem Schema ungefähr zehnmal erarbeitet hat, wird die Vorgehensweise langsam automatisiert.

8-Stufen-Lesestrategie:

  1. Überschrift: Lassen Sie Ihr Kind spekulieren, worum es in dem Text gehen könnte.
  2. Lesen: Text zügig durchlesen, dabei aber genau vorgehen, eventuell absatzweise. Größere, vom Sinn her zusammenhängende Absätze können von Ihrem Kind mit einem Satz zusammengefasst werden.
  3. Schlüsselwörter finden: Wichtige, sogenannte Schlüsselwörter unterstreichen. Mit einer auf den Text gelegten Folie und einem Folienschreiber schonen Sie das Buch.
  4. Unklarheiten klären: Unbekannte Wörter und Begriffe markieren und klären. Im Grundschulwörterbuch, im Lexikon oder im Internet recherchieren.
  5. Fotos: Bilder zum Text ansehen. Was könnten sie bedeuten?
  6. Tonfall ausprobieren: Bei Verständnisproblemen noch einmal laut lesen. Dabei unterschiedliche Betonungen ausprobieren.
  7. Zusammenfassen: Kernaussage des Textes in möglichst wenigen Sätzen zusammenfassen.  
  8. Visualisierung: Bei ganzen Büchern erschließt sich der Handlungsablauf sehr anschaulich, wenn Ihr Kind einen Zeitstrahl oder eine Mindmap (Schaubild) anlegt.

Bei Problem B (Konzentrationsschwäche) hilft ein Konzentrationstraining

Mit einem Arbeitsblatt zur Konzentration können Sie das sorgfältige Entschlüsseln beim Lesen unterstützen. Legen Sie Ihrem Kind das Blatt vor, und bitten Sie es, den Text erst einmal gründlich zu lesen und dann erst die Anweisungen auszuführen. Unkonzentrierte und ungeduldige Kinder schaffen das nicht. Sie beginnen sofort damit, die einzelnen Anweisungen auszuführen. Stoppen Sie Ihr Kind nicht, sondern warten Sie geduldig ab.

Am Ende des Arbeitsblattes wird Ihr Kind merken, dass es sich viel unnötige Arbeit gemacht hat, und künftig etwas sorgfältiger sein. Zur Steigerung des Konzentrationsvermögens empfehle ich Ihnen auch mein umfangreiches Training „Einfach besser Konzentrieren!“, das Sie unter dem Link https://www.elternwissen.com/shop/schule-und-lernen/konzentration.html bestellen können.

Bei Problem C (Leseschwäche) können diese Lesehilfen unterstützen

Nicht allen Kindern erschließt sich jedoch die Welt der Schrift einfach. Mit einigen simplen Lesehilfen kann sich das ändern. Um schneller und besser zu lesen, helfen beispielsweise die folgenden Methoden: Eine Lesepfeil oder ein Leselineal hilft Ihrem Kind, nicht auf der Zeile zu verrutschen und nur den Ausschnitt des Textes zu sehen, der gelesen werden soll. So wird es weniger abgelenkt. Der Lesepfeil deckt die unteren Zeilen ab, das Lesefenster zusätzlich noch die nachfolgenden Wörter. Falls Ihr Kind die Zeile immer wieder verliert, können Sie es einmal mit einer farbigen Folie versuchen, die einfach über den Text gelegt wird. Manche Kinder profitieren von dem anderen Farbkontrast, und es gelingt ihnen besser, am Text zu bleiben. Sie können Ihr Kind ebenfalls beim Lesen unterstützen, indem Sie immer leise mitlesen und nur bei schwierigen Wörtern übernehmen. Dieses paired reading (begleitendes Lesen) greift nur an den Stellen ein, an denen ein Kind ins Stocken gerät. Anschließend liest es einfach weiter.

Für längere Texte oder Bücher eignet sich die SQ3R-Methode (ab 4. Klasse)

Der Name dieser Methode setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der fünf Schritte zusammen: survey (Überblick verschaffen), question (Fragen stellen), read (lesen), recite (Fragen stellen) und review (wiederholen). Diese Lesemethode zielt darauf ab, ein Buch in fünf Schritten zu verstehen. Wählen Sie ein Buch aus, das Ihr Kind für den Unterricht lesen soll. Führen Sie mit ihm die folgenden fünf Schritte durch:

  1. Schritt: Überblick verschaffen (survey) Lassen Sie Ihr Kind das Inhaltsverzeichnis und den Klappentext lesen, um eine Vorstellung von dem Buch zu bekommen.
  2. Schritt: Frage (question) Fragen Sie Ihr Kind, was es von dem Buch wissen möchte. Welche Fragen hat es an den Autor oder welche Erwartungen hat es an die Story, bevor es den Text dann liest. Diese Fragen werden notiert und später wieder aufgenommen.
  3. Schritt: Lesen (read) Im zentralen Teil der Methode wird der Text systematisch gelesen. Ihr Kind soll das Buch Abschnitt für Abschnitt erfassen und die enthaltenen Informationen abspeichern. Dabei hilft es ihm, wenn es wichtige Schlüsselwörter markiert.
  4. Schritt: in Erinnerung rufen, rekapitulieren (recite) Nun ist die Zeit für das Beantworten der aufgeschriebenen Fragen gekommen. Indem Ihr Kind seine eigenen Fragen zu beantworten versucht, durchdringt es den Text und versteht ihn immer besser.
  5. Schritt: Wiederholen, repetieren (review) Abschließend beschreibt Ihr Kind das gelesene Buch als ganzen, zusammenhängenden Text und nicht, wie in Schritt 3, nur als Abschnitte. Es vergegenwärtigt sich also den gesamten Inhalt.

Vorteil der Methode: Für ältere Kinder und auch für Jugendliche oder Erwachsene eignet sich diese Methode gut, um gelesene Texte relativ sicher im Langzeitgedächtnis abzuspeichern. Das funktioniert deshalb, weil viel Eigeninitiative vom Leser gefordert wird. Es ist kaum möglich, mit dieser Methode den Inhalt nur passiv aufzunehmen. So ist die Wahrscheinlichkeit der korrekten Wissensabfrage im Anschluss an das Lesen mit der SQ3R-Methode wesentlich höher als beim „normalen“ Lesen.

  • Mein Tipp: Üben Sie das Erfassen von Texten mit kleinen Zeitungsmeldungen. Am besten nehmen Sie dazu eine Kinderzeitschrift oder den Lokalteil der Tageszeitung. Lokale Ereignisse, mit denen Ihr Kind etwas verbindet (Stadtteilfest, Zirkus, Fahrradunfall) sind interessant und motivieren zum sorgfältigen Lesen. Mit der Zeit können Sie immer größere Zeitungsartikel auswählen.