Lesen lernen: Wie Sie Ihrem Kind dabei helfen können

Wenn Ihr Kind gerade in die erste Klasse gekommen ist, dann hat es sich auf den Weg gemacht, bald selbst die Ortsschilder, seine Bilderbücher oder die Briefe von den Großeltern lesen zu können. Aus meiner Unterrichtserfahrung weiß ich, dass manche Kinder den Leselernprozess leider nicht mühelos durchlaufen und zusätzliche Hilfen benötigen. Daher stelle ich Ihnen im folgenden Artikel Übungen vor, mit denen Sie Ihr Kind von Anfang an beim Lesenlernen begleiten können. Auch Eltern, deren Kind schon in der zweiten bis vierten Klasse ist, finden Tipps, um ihrem leseschwachen Kind zu helfen. 

Inhaltsverzeichnis

Wie lernt Ihr Kind in der ersten Klasse lesen?

Könnten Sie ägyptischen Hieroglyphen übersetzen? – Wenn nicht, dann werden Sie sicherlich versuchen, eine Übersetzungshilfe zu finden. Oder Sie schauen einfach in der Fußnote nach.

Dieses Beispiel zeigt, wie kompliziert das Lesenlernen für Ihr Kind ist und warum es dazu mindestens ein halbes, manchmal sogar bis zu zwei Jahren Zeit benötigt. Ein Erstklässler muss zu ihm bisher unbekannten Hieroglyphen/Zeichen (= Buchstaben) eine Übersetzung finden (= die dazu passenden Laute). Erst nach und nach wird er aus den einzelnen Buchstaben Wörter zusammensetzen können.

Üben Sie keinen Druck auf Ihr Kind aus, falls es für das Lesenlernen länger braucht, als Sie erwartet haben, sonst verliert es schnell seine Lernfreude! Das Lesenlernen geschieht heutzutage meist mit Hilfe der Anlauttabelle. Dabei handelt es sich um eine Sammlung aller Laute der deutschen Sprache, denen passende Anlaut-Bilder zugeordnet sind (z. B. neben dem A ein Affe oder neben dem L ein Löwe). An den meisten Schulen wird außerdem mit einer Fibel gearbeitet, einem speziellen Lesebuch für Erstklässler. Es gibt dabei verschiedene methodische Ansätze wie z. B. das Lesen in Silben (die Kinder lernen von Anfang an Silbenverbindungen wie ma – me – mi und die Texte und Wörter werden zweifarbig abgedruckt). Vielleicht hat Ihr Kind überhaupt keine Fibel? Seien Sie unbesorgt: Ein Leselehrgang ohne Fibel ist erlaubt, wenn der Unterricht den Lernzielen des Lehrplans entspricht.

Welche Voraussetzungen braucht Ihr Kind, um problemlos lesen zu lernen?

Damit Ihr Kind den Leselernprozess bewältigen kann, muss es einige Voraussetzungen erfüllen. In meiner Vorschulgruppe verwende ich die folgenden Testaufgaben, die mit einfachen ja-/nein-Antworten in einer Viertelstunde ein aussagekräftiges Bild über die Ausgangslage von Schulanfängern geben.

Einfache Tipps für die Leseförderung von Erstklässlern

Wenn bei Ihrem Kind Leseprobleme auftreten, sollten Sie zunächst die Fibel oder andere „richtige Bücher“ wegräumen, weil die darin enthaltene Textmenge Ihr Kind noch überfordert. Verbessern Sie mit anderen täglichen Leseübungen die Leistungen Ihres Kindes. Den Eltern meiner Klasse gebe ich hierzu folgende Tipps, die sicherlich auch Ihrem Kind helfen.

  1. Spiele mit der Anlauttabelle oder einem Anlautplakat:

    Das sichere Erkennen der Buchstaben ist Grundvoraussetzung für das Lesen. Nutzen Sie deshalb die Anlauttabelle Ihres Kindes, falls es von der Schule eine bekommen hat, oder besorgen Sie sich ein Poster mit Buchstaben und Anlautbildern.
    • Nennen Sie Anlaute: Ihr Kind zeigt auf die passenden Bilder und benennt sie.
    • Zeigen Sie auf ein Bild: Ihr Kind nennt das passende Wort und den entsprechenden Laut.
    • Ihr Kind bekommt eine Spielfigur und würfelt. Es rückt auf das entsprechende Feld vor und nennt  den Anlaut. Ist die Lösung richtig, darf noch mal gewürfelt werden. Dann sind Sie oder ein anderer Mitspieler dran.
    • Erzählen Sie eine Geschichte, in der verschiedene Dinge von der Anlauttabelle vorkommen (z.B. Ein Löwe trifft eine Maus. Zusammen besuchen sie den Affen). Ihr Kind zeigt parallel auf die entsprechenden Bilder.
  2. Silbenkarten

    Eine grundlegende Lesetechnik ist es, Buchstaben zu Silben zusammenzuziehen. Deshalb ist das Silbentraining von Anfang an sehr wichtig. Schreiben Sie Silben mit zwei Buchstaben (la, le, li, lo, lu usw.) auf einzelne kleine Kärtchen, jede Silbe einmal mit dem Groß- und einmal mit dem Kleinbuchstaben vorne (z. B. Ka – ka).
    • Die Karten mit den Buchstaben, die Ihr Kind schon kennt, liegen verdeckt auf dem Tisch. Abwechselnd wird eine Karte aufgedeckt und vorgelesen.
    • Wurde richtig gelesen, darf die Karte behalten werden. Wer hat am Ende die meisten Karten?
    Dieses Spiel macht besonders viel Spaß, wenn Ihr Kind es mit einem Freund oder Klassenkameraden auf ähnlichem Leistungsstand spielt.

    • Legen Sie verschiedene Silben hintereinander zu einer Straße. Auf einzelnen Karten liegt ein Gummibärchen. Abwechselnd wird nun mit einer Spielfigur die gewürfelte Anzahl vorgerückt, und die Silben werden gelesen. Besondere Freude wird Ihr Kind haben, wenn es auf die Gummibärchenfelder kommt und sich stärken kann.
    • Versuchen Sie zusammen mit Ihrem Kind, aus einzelnen Silbenkarten Wörter zu legen (z. B. Li-mo-na-de oder Scho-ko-la-de).
    • Nennen Sie ein Wort (z. B. Mami). Ihr Kind muss die Karte mit der ersten oder letzten Silbe des Wortes finden.
    • Legen Sie drei oder vier Silbenkarten, die zusammen ein Wort ergeben, vermischt auf den Tisch. Daraus soll Ihr Kind nun das Wort zusammensetzen.
  3. Raketenlesen in zwei Varianten

    Mit diesen Übungen wird die Vorlesetechnik Ihres Kindes schon bald flüssiger werden.

    • Schreiben Sie auf ein Blatt untereinander acht bis zehn Silben (ma, le, si usw.) oder legen Sie Silbenkarten von oben aus. Nun stellen Sie die Stoppuhr auf 20 Sekunden.
    • In drei Durchgängen versucht Ihr Kind nun, so viele Silben wie möglich richtig vorzulesen, dabei beginnt es immer wieder von vorne.
    • Sie zählen jedes Mal die Anzahl der richtigen Silben.
    • Notieren Sie das Ergebnis und machen Sie am nächsten Tag weiter. Verbessert sich Ihr Kind? Steigern Sie den Schwierigkeitsgrad später mit Wörtern oder kurzen Sätzen.
    Raketenlesen, die Zweite!

    • Schreiben Sie in die erste Reihe das erste Wort eines Satzes, in die zweite Reihe das erste und das zweite Wort usw. (z. B. Wir – Wir lesen – Wir lesen jeden – Wir lesen jeden Tag).
    • Auch jetzt muss Ihr Kind wieder 20 Sekunden lang vorlesen und Sie zählen die richtig gelesenen Wörter.
  4. Lese-Mal-Aufgaben

    Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es Erstklässler sehr motiviert, wenn Sie sinnvolle Sätze lesen können. Schreiben Sie auf einzelne Zettel kurze Anweisungen wie z. B. „Male 1 Tomate!“ oder „Hole 1 Buch!“. Da Handlungen verlangt werden, erkennen Sie schnell, ob Ihr Kind wirklich liest oder (wie oft am Anfang) rät.