Auf Provozieren reagieren: Wie Sie es richtig tun

Oft höre ich von Eltern in meiner Beratung Sätze wie:„Ich kann mich dann einfach nicht zurückhalten! Wenn Nils seinen trotzig-arroganten Gesichtsausdruck aufsetzt und aufmeine Aufforderung, weniger Zeit am Computer dafür mehr Zeit mit seinen Schulsachen zu verbringen, einfach nur antwortet: „Du kannst mich zu gar nichts zwingen, dann flippe ich aus. Ich weiß, ich sollte mich nicht so schnell provozieren lassen, aber dieses Thema ist für mich wie ein rotes Tuch “  

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Wie Sie Konflikte mit Kindern in der Pubertät besser lösen

Jede Familie hat bestimmte Situationen, in denen die Beteiligten regelmäßig und intensiv aneinander geraten. Der Ablauf dieser Auseinandersetzungen ähnelt einem eingeschliffenen Ritual, das sich mit genau verteilten Rollen, einer bestimmten Dramaturgie und vorauszusehendem Ausgang vollzieht:

  1. Die Eltern bestehen auf Regeln, die die Heranwachsenden anders sehen.
  2. Die mehr oder minder expliziten Anforderungen der Eltern lösen bei den Jugendlichen Blockaden aus. Sie verweigern sich nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ oder „Jetzt nicht!“
  3. Viele Eltern lassen sich nun schnell in die Rolle des Gegners drängen, reagieren dann mit fast kindischem Trotz – wie unter der Überschrift: „Wir wollen doch mal sehen, wer hier gewinnt!“
  4. Die Pubertierenden denken hingegen: „Ich habe den längeren Atem!“

Mit solchen Gefühlen und ihrem hilflosen Verhalten steht diese Mutter eines heranwachsenden Sohnes nicht alleine da. Konflikte dieser Art sind nicht selten, wenn die Kinder in die Pubertät kommen. Doch wie können Sie sich als Mutter oder Vater in solchen Situationen richtig verhalten? Wie können Sie „cool“ reagieren, sich nicht provozieren lassen, und die Situation produktiv entschärfen?

Eltern verkörpern Wissen, das Pubertierende erst erwerben müssen. 

Es gibt aber auch Eltern, die in solchen Situationen rasch nachgeben oder die sich mit einem schlechtem Gewissen belasten: „Hab ich nicht zu viel verlangt?“ – „Mein Gott – autoritär sein, das ist das Letzte, was ich sein möchte.“ Ihre heranwachsenden Kinder spüren schnell, wenn Sie sich nicht wohl fühlen in Ihrer Rolle als Vor- oder Leitbild.

Gleichwertigkeit in der Beziehung zu pubertierenden Kindern bedeutet aber keineswegs Gleichrangigkeit oder „Gleichmacherei“ – Sie, die Eltern, sind Ihrem pubertierendem Kind in mancherlei Hinsicht an Erfahrung und Wissen überlegen. Sie können Gefahren abwenden, vorausschauend handeln. Dieser Hintergrund kann konstruktiv wirken, aber auch hemmend, wenn der elterliche Erfahrungsüberschuss als Besserwisserei missverstanden wird.

Eltern bieten Bindung und damit Sicherheit. Pubertierende fühlen um diese Qualität des „Mehr“, sie verlangen dieses „Mehr“ geradezu von ihren Eltern – wenn auch nicht kritiklos. Kritik und Widerstand zeugen von Selbstbewusstsein Bedenken Sie: Wenn Heranwachsende Ihre Aussagen nicht widerspruchslos hinnehmen, dann zeugt das auch von Selbstbewusstsein.

Für mich sind diese Reibungen natürlicher und altersgemäßer als Reaktionen, die elterliche Anweisungen mit einem„Jawohl, Mama!“ oder „Jawohl, Papa!" beantworten. Pubertierende verrennen sich in bestimmte Sichtweisen: „Ich muss immer machen, was ihr wollt.“ – „Ich darf nie.“ Doch ist das nicht ihr Vorrecht, auch Erwachsene entwickeln nicht selten eine Sicht der Dinge, die nur schwer zu verändern ist.

Reflektieren Sie Ihre eigenen Vorstellungen!

Mir ist es wichtig, in der Beratung nicht allein nach den Gründen von Fehlhandlungen Pubertierender zu fragen, sondern von dem Umstand auszugehen, dass Jugendliche so handeln, wie sie es tun, und ihre Eltern diese Handlungen bewerten.

Dabei fällt auf: Es sind häufig nicht die Handlungsmuster, die Eltern verunsichern. Es sind vielmehr die elterlichen Vorstellungen von diesen Handlungsmustern, die beunruhigen.

Wie können Eltern zu einer angemesseneren Sicht der Dinge kommen?

Sarah B. hatte Stress mit ihrem 12-jährigen Lasse. Das Thema waren die Hausaufgaben, die jedes Mittagessen zur Hölle machten.

„Ich frage ganz friedlich nach der Schule und den Hausaufgaben. Dann geht das Theater schon los. Er mault über das Essen, provoziert, wo er nur kann. Es ist ehrlich gesagt, zum Kotzen.“

Lasse bestätigt dies: „Ich komme nach Hause. Und schon kommt die erste Frage: ‘Was habt ihr auf?’ Und wenn ich dann was antworte, stellt sie schon fest: ‘Na, nicht so viel. Dann kannst du es ja gleich nach dem Mittagessen machen.’ Und wenn ich dann dieses freundliche Gesicht von meiner Mutter sehe. Aber es ist ja nicht freundlich. Wenn ich nicht mache, was sie will, jault sie rum oder ist beleidigt!“

Ich unterhalte mich mit Lasse.

„Was, glaubst du, wäre anders“, frage ich, „wenn du nach Hause kommst, und es ist ein Wunder geschehen. Deine Mutter ist verzaubert. Woran würdest du das merken?“ „Daran, dass sie freundlich  lächelt, mich in den Arm nimmt und von sich erzählt“, meint Lasse. „Und woran würde deine Mutter bemerken, dass sich bei dir etwas verändert hat?“, will ich wissen. „Ich lass mich in den Arm nehmen und meckere nicht über das Essen!“

Als ich der Mutter diese „Wunderfrage“ stelle, die auf den Therapeuten de Shazer zurückgeht, meint sie:

„Lasse brüllt nicht ‘Mistessen’ oder so etwas, wenn er die Haustür öffnet, oder: ‘Hier riecht es wieder so eklig!“ „Und woran bemerkt er Ihre Veränderung?“ Sie überlegt. Dann: „Ich frage nicht sofort nach der Schule!“

Ich vereinbare mit beiden, am nächsten Tag so zu tun, als sei ein Wundertag.

Als Lasse nach der Schule die Haustür öffnet, findet er die Mutter nicht, die ansonsten im Flur steht und wartet, um ihre Fragen loszuwerden. Sie sitzt im Wohnzimmer, liest, sieht von der Zeitung auf und sagt: „Na, schön, dass du da bist.“ Lasse sagt: „Scheiß Hausaufgaben. Was gibt’s zu essen?“ „Spaghetti!“ „Deshalb riecht es so gut!“

Diese Situation verdeutlicht eine ungewöhnliche Methode.

  • Viele Eltern bewerten nicht die Handlungen, die sie sehen, sie bewerten die Handlungen auf der Grundlage von Meinungen, die sie von diesen Handlungen haben.

    So hatte Lasse kaum Chancen, sich dem mütterlichen Beobachtungsraster zu entziehen. Positive und soziale Persönlichkeitsanteile ihres Sohnes konnte die Mutter aufgrund der Fixierung auf das eine Thema gar nicht mehr wahrnehmen.
  • Es geht bei der Veränderung der Wirklichkeitssicht nicht darum, Schuld anders zu verteilen – nach dem Motto: „Nicht das Kind hat die Probleme, sondern die Erwachsenen.“ Vielmehr möchte ich Eltern veränderte Handlungsperspektiven zeigen. Wenn man versucht, die Wirklichkeit anders, das heißt angemessener zu betrachten, kann es gelingen, neue Lösungen für problematische Konfliktsituationen zu finden.